Von fiesen Aliens und nackten Hintern

Aktualisiert

«Halo 4»Von fiesen Aliens und nackten Hintern

Kein Game für Astrophysiker: Das Ballergame «Halo 4» ist dumpf, hohl und sexistisch. Gerade deshalb ist es einer der besten Shooter, findet unser Gameredaktor Jan Graber.

Kürzlich sagte eine Mutter von drei kleinen Kindern zu mir, sie wünsche sich mehr dumme Games. Ich traute meinen Ohren nicht. Doch, sagte sie, dann könne man sein schlechtes Gewissen nicht mit dem Argument beruhigen, man spiele ein intelligentes Spiel. Als mir kurz darauf ein Arbeitskollege und Egoshooter-Fan verriet, «Halo» sei ihm einfach zu doof – nun, man muss mich nicht allzu gut kennen, um zu wissen, dass ich eins und eins zusammenzählte: «Halo 4» muss das perfekte Game sein.

Tatsächlich ist der neuste «Halo»-Teil nicht das, was man ein Spiel für Astrophysiker nennen würde. Es ist die Geschichte eines Elitesoldaten der fernen Zukunft, der von einer sexy aussehenden künstlichen Intelligenz in den Tiefen des Alls aus dem Kälteschlaf geweckt wird, weil das Raumschiffwrack gerade von Aliens angegriffen wird. Von philosophischem Tiefsinn ist diese Story gewiss nicht. Zumal der Übersoldat daraufhin in einem Feldzug ganze Alien-Bataillone ins All pustet.

Die Einmann-Kriegsmaschine

Gerade deswegen bereitet «Halo 4» aber einen Heidenspass. Mit dem Masterchief alias Spartan alias John-117 kehrt nämlich eine der Überfiguren des Egoshooter-Genres ins «Halo»-Universum zurück. In einer Mischung aus Arroganz und blinder Kampfwut stürmt er gegen Heerscharen des ausserirdischen Gesindels an und wird von den Aliens ebenso gefürchtet wie er für sie eine Schiessbudenfigur darstellt. Wie kaum ein anderer Held verkörpert er die ideale Mischung aus Souveränität und Überforderung. Er braucht keine Kameraden, die ihm den Rücken freihalten: Er ist eine wandelnde Einmann-Kriegsmaschine, die dem Spieler ein überlegenes Spielgefühl vermittelt und ihn dennoch immer wieder auflaufen lässt.

«Halo 4» bedeutet aber mehr als nur Aliens ins binäre All zu schiessen – «Halo 4» ist wie in die Ferien zu fahren. Zu den herausragenden Merkmalen der «Halo»-Reihe gehörten stets die atemberaubenden Settings, in denen die Balleraction stattfindet. Weitläufige Naturlandschaften mit tiefen Schluchten, manchmal verschneit, futuristische bauliche Monumente, deren Grösse überwältigt, verwinkelte Labyrinthe, von einer fremden Rasse errichtet und deren Zweck unklar bleibt – «Halo 4» führt den Masterchief an einige der schönsten Plätze, die im Gameuniversum aufzuspüren sind.

Nackte Schönheit

Die magischen Orte in ihrer vollen Schönheit zu geniessen, dazu fehlt dem Spieler indessen die Zeit. Denn in «Halo 4» geht es erneut darum, geradlinig durch die Level zu stürmen, Ausserirdische (darunter eine neue Prometheaner genannte Rasse) mit abgefahrenem, bisweilen psychedelisch anmutenden Schiessgerät aus dem Weg zu pusten, dennoch stets Deckung zu suchen, weil die Widersacher alles andere als auf den Kopf gefallen sind und den Masterchief clever aus der Deckung aufs Korn zu nehmen.

Der Spielrhythmus, die Abwechslung, die Geschwindigkeit – sie alle führen zu einem Spielrausch, dessen Krönung im gleichzeitig Hohlsten und Amüsantesten besteht, was ein Game wie dieses bieten kann – dem menschlichen Voyeurismus: Dann nämlich, wenn der Masterchief die eingangs erwähnte künstliche Intelligenz Cortana aus seinem Helm holt, sie sich auf einer Konsole als Hologramm aufbaut, um in ihrer unverhüllten Schönheit irgendeinen elektronischen Mechanismus zu bedienen und der Übersoldat alias Spieler ihr dabei auf den nackten Arsch starrt.

Fazit: Mehr dumpfe Games, bitte

Ich muss der Mutter recht geben: Auch ich wünsche mir mehr dumpfe Ballerspiele à la «Halo 4». Nicht weil sie ein schlechtes Gewissen auslösen, wenn ich zu lange spiele, sondern weil ich sinnlos hohl in ein vergnügliches Game eintauchen kann, das mir nicht vorgaukelt, mehr zu sein, als es tatsächlich ist – ein exzellenter, fadengerader, doofer Shooter, der dank einer Figur wie dem Masterchiefs und den brillanten Levels einfach Spass macht.

Gametrailer «Halo 4»

(Quelle: YouTube)

Jan Graber…

… verschob die ersten Gamepixel mit «Space Invaders», «Leisure Suit Larry» sowie «King’s Quest» und entdeckte mit «System Shock» und «Rebel Assault» sein Flair für Actiongames. Derzeit zockt er «Dishonored» und «Halo 4».

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