IT-Professor«Wir schauen täglich 88-mal aufs Handy»
Laut einer neuen Studie benutzen wir alle 18 Minuten unser Handy. IT-Professor Alexander Markowetz warnt vor dem «digitalen Burn-out».
Herr Markowetz, Sie haben sich laut «faz.net» in mehreren Studien mit dem Thema Smartphone-Nutzung beschäftigt. Wie oft haben Sie Ihr Handy heute schon benutzt?
Um ehrlich zu sein, mein eigener Handykonsum ist grauenhaft. Dies war auch mit ein Grund, warum ich mich des Themas angenommen habe. Unterdessen schaffe ich es zwar, das Handy in den Ferien sieben Tage lang ausgeschaltet zu lassen, doch im täglichen Leben bin ich nicht besser als der Rest meiner Zeitgenossen.
Sie haben die Ergebnisse in Ihrem Buch «Digitaler Burnout» zusammengefasst. Wie schlimm steht es um unsere digitale Abhängigkeit?
Tatsächlich führt der unreflektierte Gebrauch von Smartphones bei einem Grossteil der Gesellschaft zu einem digitalen Burn-out. Das heisst, er macht uns unglücklich und unproduktiv. Laut unserer Studie schauen Menschen im Schnitt 88-mal am Tag aufs Handy, 53-mal davon entsperren sie es und klicken in Apps. Insgesamt verbringen wir so täglich zweieinhalb Stunden mit unserem Smartphone, bei den 17- bis 35-Jährigen sind es gar drei Stunden. Es hat sich ein «Homo digitalis» herausgebildet, der seine Tätigkeiten hauptsächlich digital erledigt: vom Lesen und Spielespielen übers Daten bis hin zur Terminplanung. Die allermeiste Zeit verbringen wir auf Whatsapp und Facebook. Das Problem sind allerdings nicht die Inhalte, die wir nutzen. Viel grössere Sorgen bereitet mir, dass die permanente und wiederholte Smartphone-Nutzung unsere Aufmerksamkeit zerstückelt und wir dadurch ständig abgelenkt sind.
Und dieser Konzentrationsmangel macht uns dann krank?
Ja, wir befinden uns heute in einem neuen Zustand, in dem wir weder produktiv noch glücklich sind. Ein Zustand also, in dem wir uns bis zur totalen Erschöpfung aufreiben. Unsere Untersuchungen haben ja gezeigt, dass wir alle 18 Minuten aufs Handy schauen. Rechnen wir zusätzliche Störungen mit ein, heisst dies, dass wir uns nicht mehr länger als eine Viertelstunde am Stück konzentrieren können. Unser Tag zerfällt in kleine Fragmente und wir schaffen es nicht mehr, in einen Arbeitsflow zu kommen oder längere Gespräche zu führen oder Gedanken zu folgen.
Sie zeichnen ein sehr düsteres Bild eines Menschen, der dieser Technik offenbar hilflos ausgeliefert ist.
Tatsächlich verbirgt sich hinter unserer Handynutzung ein Automatismus, den wir nicht bewusst oder rational steuern können. Oder denken Sie etwa, dass wir bei diesen 53 Handyentsperrungen jedes Mal Kosten und Nutzen abwägen? Nein, viel eher stecken dahinter ähnliche Mechanismen wie bei einer Glücksspielsucht. Wenn wir etwas Positives erleben – und sogar bereits dann, wenn wir nur erwarten, dass uns etwas Freudiges widerfahren könnte –, schüttet unser Körper das Glückshormon Dopamin aus. Allein schon die Vorfreude, eine Nachricht erhalten zu haben, macht uns also zufrieden und führt dazu, dass wir immer und immer wieder aufs Handy schauen wollen.
Die Lösung wäre also eine Art Handyentzug?
Ich würde es nicht Entzug, sondern eher digitale Diät nennen. Noch vor zehn Jahren hatten wir im Alltag eine Grunddosis an Pausen. Etwa, als wir an der Haltestelle auf den Bus oder im Meeting auf den Kollegen warteten. Diese Mikropausen erlaubten es, dass wir in uns hineinhören und uns hinterfragen konnten. In Zeiten des Kabelinternets waren wir zudem teils stundenlang offline und konnten so herunterkommen. Doch heute fehlen diese Pausen. Wohin uns diese Rastlosigkeit führt, sehen wir an den steigenden Zahlen von Depressionen und psychischen Erkrankungen.
Und wie könnte eine solche digitale Diät konkret aussehen?
Wir müssen lernen, uns selbst auszutricksen. Denn es reicht nicht, einfach nur zu verstehen, dass das Handy schädlich ist – ähnlich wie das einer schwarzen Lunge im Allgemeinen nicht dazu führt, dass wir das Rauchen aufgeben. Wie ein Raucher beispielsweise versucht, die Zigarette mit Kaugummis zu ersetzen, müssen wir versuchen, in der Wohnung handyfreie Räume zu schaffen, das Handy ein paar Stunden am Tag auszuschalten oder es statt in die Manteltasche in den Rucksack zu stecken.
In vielen Bereichen verlangt die Gesellschaft aber, dass wir ständig erreichbar sind, Mails beantworten, Anrufe entgegennehmen …
Das stimmt und darum braucht es ein Umdenken, nicht nur bei uns selbst, auch bei Firmen. Früher war es normal, dass man über Mittag nicht gestört wurde, heute schreibt man um Mitternacht eine Whatsapp-Nachricht und erwartet, dass innert kürzester Zeit eine Antwort folgt. Aber rund 80 Prozent der eigenen Kommunikation entfallen auf lediglich fünf Menschen wie etwa den Chef, den Partner oder den besten Freund. Mit diesen kann man sich absprechen und sich darauf einigen, nur zu bestimmten Uhrzeiten zu kommunizieren oder lieber zu telefonieren anstatt hunderte Messages herumzuschieben. So kann man mit Bordmitteln die eigene digitale Kommunikation sicher um die Hälfte reduzieren.
Zur Person
Alexander Markowetz ist Junior-Professor für Informatik an der Universität Bonn. In seinem Buch «digitaler Burnout» beschreibt er, warum eine permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist.