Fünf Prozent der Jungen sind handysüchtig

Aktualisiert

Mehr als je zuvorFünf Prozent der Jungen sind handysüchtig

Die Anzahl der Smartphone-Abhängigen hat sich weltweit mehr als verdoppelt. Die Anzeichen der Sucht sind depressive Gefühle, Zurückgezogenheit und ein Leistungsabfall.

S.Sigrist
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S.Sigrist
Wie in diesem Werk des Streetart-Künstlers Banksy leiden auch in der Schweiz die sozialen Beziehungen von exzessiven Smartphone-Nutzern.

Wie in diesem Werk des Streetart-Künstlers Banksy leiden auch in der Schweiz die sozialen Beziehungen von exzessiven Smartphone-Nutzern.

Innerhalb eines Jahres hat sich die Anzahl der Smartphone-Süchtigen weltweit mehr als verdoppelt. 176 Millionen Menschen sind laut einer Hochrechnung der US-Marktforscher von Flurry abhängig von ihren Multifunktionshandys. 2013 waren es noch 79 Millionen Betroffene. Die Studienleiter untersuchten, wie viele Apps jeden Tag auf rund 1,3 Milliarden mobilen Geräten geöffnet wurden. Der normale User öffne seine Applikationen weniger als 16-mal täglich, schreibt Flurry in einem Blogbeitrag. Als smartphonesüchtig galt in der Untersuchung, wer Handy-Apps mehr als 60-mal pro Tag nutzt. Betroffen von der Verhaltenssucht sind 15 Millionen mehr Frauen als Männer. Unter den exzessiven Nutzern sind vor allem Teenager, College-Studenten und Personen mittleren Alters.

In der Schweiz sind laut einer im April 2012 veröffentlichten Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) knapp fünf Prozent der Adoleszenten zwischen 12 und 19 Jahren handysüchtig. Diese Abhängigkeit sei in der Westschweiz und im Tessin häufiger verbreitet als in der Deutschschweiz, so die Forschungsleiter Gregor Waller und Daniel Süss. Im Gegensatz zu der globalen Untersuchung stellten die ZHAW-Wissenschaftler keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern fest.

Gleiche Anzeichen wie bei Drogen-Junkies

Roger Zahner von der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich geht ebenfalls davon aus, dass bis zu fünf Prozent aller Schweizer Jugendlichen Symptome einer Smartphone-Sucht aufweisen. Eine Abhängigkeit vom Mobiltelefon äussert sich gemäss dem Experten aber nicht nur in der Nutzungshäufigkeit des Gerätes. «Smartphone-Abhängige können kaum noch an anderes denken», führt Zahner aus. Darunter leidet das Sozialleben und die Konzentrationsfähigkeit lässt nach. Im Extremfall könne die Abhängigkeit vom Mobilgerät zu gesundheitlichen Schäden und einem Leistungsabfall in der Schule oder im Job führen. «Die Anzeichen einer Handysucht sind sehr ähnlich wie bei einer Drogenabhängigkeit», erklärt der Experte. Die Betroffenen verfielen beispielsweise in eine depressive Stimmung, wenn der Telefonakku leer sei, und hätten nach dem übertriebenen Gebrauch ihrer Smartphones ein schlechtes Gewissen. Ausserdem sei nach Phasen der Abstinenz die Rückfallgefahr zu übermässigem Konsum gross.

Eltern rät Zahner, die Gerätenutzung ihrer Sprösslinge im Auge zu behalten. «Verbringt das Kind zu viel Zeit mit seinem Handy oder Tablet und vernachlässigt andere Aktivitäten, müssen Eltern das Gespräch mit ihm suchen.» Dabei sollen sie ihre Sorgen offen äussern und gemeinsam mit dem Kind oder Jugendlichen konkrete Massnahmen vereinbaren, wie der Nachwuchs seine Freizeit mit weniger Fixierung auf das Gerät sinnvoll gestalten kann. Erkennen Erwachsene bei sich selbst Anzeichen einer Abhängigkeit, empfiehlt sich als Versuch eine temporäre Abstinenz. «Man soll versuchen, eine bestimmte Zeit lang auf das Gerät zu verzichten und stattdessen zum Beispiel Freunde im realen Leben zu treffen.» Als weitere Option bietet sich eine Beratung bei einer Fachstelle an. Doch genauso wie bei Drogensüchtigen gilt auch für die Telefon-Junkies: «Die Betroffenen müssen motiviert sein, ihr Verhalten zu ändern», sagt der Präventionsexperte.

App der Uni Bonn hilft

Die deutsche App Menthal hilft bei der Kontrolle der eigenen Smartphone-Nutzung. Informatiker und Psychologen der Universität Bonn haben das Miniprogramm entwickelt. Wer die App installiere, könne nachvollziehen, wie viel Zeit er täglich mit seinem Telefon verbringe und welche Anwendungen er am häufigsten nutze, erklärt Studienleiter Christian Montag. «Wir haben festgestellt, dass User das in der Regel selber sehr schlecht einschätzen können.» Viele Handlungen am Smartphone würden mittlerweile unbewusst vorgenommen. Erste Tester der Anwendung hätten im Januar 2014 durchschnittlich 80-mal am Tag auf ihr Telefon geblickt. Gemäss der Flurry-Untersuchung würden diese Nutzer bereits zu den Smartphone-Abhängigen gehören. «Wir glauben wirklich, dass ein Suchtmechanismus dahintersteckt«, sagt Montag. Menthal ist kostenlos im Google Play Store erhältlich.

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