Gefährliche GeräteMehr Fussgänger-Unfälle wegen Smartphones
Auf Schweizer Zebrastreifen gabs 2013 so viele Schwerverletzte wie seit Jahren nicht mehr. Experten führen dies darauf zurück, dass Fussgänger oft mit ihrem Handy beschäftigt sind.

«Das Smartphone ist heute omnipräsent, dadurch sind Fussgänger viel stärker in der Pflicht, sich bewusst auf den Verkehr zu konzentrieren», sagt Valesca Zaugg, Geschäftsführerin der Stiftung Road Cross.
Der Anteil von Fussgängerunfällen, die auf die Handy-Nutzung zurückgehen, hat sich in den USA laut einer Studie der Ohio State University von 2005 bis 2010 mehr als verdoppelt. «Abgelenktes Laufen ist im Prinzip genauso gefährlich wie abgelenktes Autofahren», sagt Studienautor Jack Nasar.
In der Schweiz sind 2013 so viele Fussgänger auf dem Zebrastreifen schwer verletzt worden wie letztmals 2007. Auch Todesfälle auf dem Streifen gab es mehr zu verzeichnen als im Vorjahr – dies obwohl die Anzahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten insgesamt zurückgegangen ist. In der landesweiten Unfallstatistik wird nicht ersichtlich, ob und inwiefern Smartphones eine Mitschuld an den getöteten und verletzten Fussgängern tragen. Oftmals wurde in der gesamten Statistik 2013 «Unaufmerksamkeit / Ablenkung» als Unfallursache angegeben. Wodurch die Verunfallten abgelenkt waren, ist nicht dokumentiert worden.
Schlechtere Einschätzung von Geschwindigkeiten
Allerdings geht Valesca Zaugg, Geschäftsführerin der Stiftung Road Cross, davon aus, dass Mobiltelefone für die hohe Zahl von Fussgängerunfällen auf dem Zebrastreifen mitverantwortlich sind. «Starrt man auf den Handy-Bildschirm, ist der Blick nicht dort, wo er sein sollte», erklärt die Verkehrsexpertin. Die Möglichkeiten, sich abzulenken, hätten in den letzten Jahren massiv zugenommen: «Das Smartphone ist heute omnipräsent, dadurch sind Fussgänger viel stärker in der Pflicht, sich bewusst auf den Verkehr zu konzentrieren», so Zaugg. Klar sei: Wenn Passanten mit der Bedienung technischer Geräte beschäftigt seien, könnten sie Distanzen und Geschwindigkeiten der anderen Verkehrsteilnehmer schlechter einschätzen.
Auch Rolf Moning, Mediensprecher der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) warnt Fussgänger vor der Handy-Nutzung im Strassenverkehr. «Der Mensch kann sich schlecht auf zwei Sachen gleichzeitig konzentrieren», sagt der Präventionsexperte. «Wer im Gehen das Smartphone bedient, nimmt sich nähernde Fahrzeuge weniger schnell wahr.» Zudem seien mit den E-Bikes und Elektroautos neue leise Fahrzeuge unterwegs. Die Geräuschlosigkeit führe ebenfalls dazu, dass man weniger schnell auf sie aufmerksam werde, so Moning.
Bussen oder Selbstverantwortung
In Rexburg im US-Bundesstaat Idaho wurde das SMS-Schreiben auf Strassenkreuzungen oder Fussgängerstreifen 2011 verboten. Bei Missachtung des Verbotes drohen 100 Dollar (rund 87 Franken) Busse. Nasar zweifelt an der Berechtigung solcher Massnahmen: «Ich glaube nicht, dass Städte dazu in der Lage sind, feste Regeln für Passanten einzuführen.» Es sei eher eine Frage der Erziehung.
In der Schweiz hingegen ist es nicht verboten, beim Überqueren der Strasse auf dem Mobiltelefon herumzuspielen oder zu telefonieren. «Vom Gesetz her sind jedoch alle Verkehrsteilnehmer verpflichtet, sich dem Geschehen auf der Strasse zuzuwenden und sich so zu verhalten, dass sie andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindern noch gefährden», erklärt Simona Benovici, Mediensprecherin der Berner Kantonspolizei. Dies gelte auch für Fussgänger. Strafen für unaufmerksame Passanten sind hierzulande momentan allerdings keine vorgesehen.
Marco Cortesi, Mediensprecher der Stadtpolizei Zürich, appelliert an die Selbstverantwortung der Fussgänger. «Man muss sich der Gefahren der Smartphone-Nutzung im Strassenverkehr bewusst sein.» Das Zürcher Polizeikorps stelle mit Besorgnis fest, dass durch Gadgets abgelenkte Passanten plötzlich auf die Strasse oder vor das Tram laufen würden. Zur eigenen Sicherheit gilt die in der Grundschule erlernte Regel: «Der Zebrastreifen soll nur überquert werden, wenn sicher ist, dass das heranfahrende Auto einen auch gesehen hat.» Wer sicher gehen will, solle Blickkontakt mit dem Fahrzeuglenker suchen. Sind die Augen nur auf den Handy-Bildschirm gerichtet, ist dies nicht möglich. «Im Zweifelsfall nützt es einem als Fussgänger nichts, auf sein Vortrittsrecht zu pochen», so Cortesi. Um Gefahren richtig einzuschätzen, sei es wichtig, sich auf den Verkehr zu konzentrieren.
App warnt Fussgänger vor Zusammenstössen
Einen anderen Lösungsansatz bietet die App Anshin. Diese Anwendung soll Handy-Junkies im Strassenverkehr vor Zusammenstössen schützen. Der japanische Mobilfunkanbieter Docomo hat die Applikation kostenlos veröffentlicht, um seine Kunden vor Schaden zu bewahren. Versucht ein eifriger Smartphone-Nutzer sein Telefon unterwegs zu bedienen, erscheint auf dem Bildschirm ein Warnhinweis. «Der Gerätegebrauch während des Gehens ist gefährlich und sollte sofort beendet werden», ist dann auf dem Display zu lesen. Die Erfassungsgenauigkeit für Bewegungen kann gemäss «Spiegel Online» über drei Stufen geregelt werden. Bleibt man kurz stehen, verschwindet die Warnung wieder. Die Funktion ist nur für Android-Geräte erhältlich.