Wer braucht 100 Megabit?Swisscom zündet den Daten-Turbo
Im Dezember führt der grösste Schweizer Mobilfunkprovider ultraschnelles Surfen mit LTE ein. Doch die iPhone-Nutzer müssen sich etwas länger gedulden.

Dass iPhones bei Swisscom das schnelle LTE einige Wochen später nutzen können als die LTE-Geräte anderer Hersteller, liegt an Apple.
Nächsten Monat wird Swisscom LTE (Long Term Evolution) breit einführen. Und ab dem kommenden Jahr schalten auch Orange und Sunrise schrittweise den Handy-Turbo ein. Wer LTE mit Notebooks und Smartphones nutzt, surft unterwegs mit Rekordtempo. Und selbst wer kein LTE-Gerät besitzt, wird von der neuen Technik profitieren.
Wie viel schneller surft ein im diesjährigen Weihnachtsgeschäft aktuelles Smartphone als das erste internettaugliche Handy aus dem Jahre 1996? Nein, es ist weder doppelt, noch zehnfach noch hundertfach schneller. Wer eine Tausendfache Steigerung orakelt, pokert zwar hoch, aber noch immer eine Zehnerpotenz zu tief. Das Handy-Surftempo hat sich innert 15 Jahren um den Faktor 10 000 beschleunigt.
Ein neues Smartphone mit LTE schaufelt nominell pro Sekunde 100 Millionen Bits (100 Megabit/s) durch die Luft, der Nokia Communicator aus dem Jahre 1996 bröselte pro Sekunde 9600 Einsen und Nullen (bit/s) über seine Funkantenne.
Filme als Datenmonster
Doch wer braucht eigentlich 70 bis 80 Megabit pro Sekunde, welches LTE in der Praxis unter optimalen Bedingungen auf Handy oder Notebook bietet? Eine Twitter-Meldung ist gerade mal einige Tausend Bits lang, eine E-Mail flutscht auch schon heute innert Sekundenbruchteilen durch das Netz.
Zwingend benötigen LTE die wenigsten, aber haben wollen tun es alle, die ihre Unterhaltung mobil geniessen. Denn die grossen Datenmengen werden heute längst nicht mehr von Texten, Tabellen und E-Mails verursacht, sondern von Fotos, Musik und vor allem Videos und Live-Fernsehen.
Bewegte Bilder sind nicht nur die grössten Datenverursacher, sondern auch die «ungeduldigsten» Anwendungen. Während man auf ein E- Mail einige Sekunden warten kann, nervt es ungemein, wenn beim Film immer wieder das Bild «zerbröckelt», weil die Daten zu langsam angeliefert werden.
Entscheidend für den neuen Datenhunger ist aber auch die bessere multimediale Qualität. Während Ur-Handys Fotos noch in Briefmarkengrösse abbildeten, können moderne Smartphones Videos in HD-Qualität anzeigen. Handy-Bildschirme mit Millionen Bildpunkten müssen also mit Daten gefüttert werden. Eine Verdoppelung der Qualität führt dabei zu einer Vervierfachung der Datenmenge.
Musik nicht mehr auf dem Handy
Das Handy-Datennetz wird aber auch durch die Cloud-Dienste stark belastet. Denn immer seltener befinden sich alle persönlichen Daten schon auf dem Handy, sondern werden erst bei Nutzung aus dem Internet abgerufen. Das betrifft beispielsweise Musik. Statt auf dem Speicherkärtchen des Handys seine MP3-Dateien mitzutragen, abonniert man einen Musikdienst mit Millionen von Songs.
Beim Musikhören muss dann aber jeder Titel erst aus dem Internet heruntergeladen werden. Im Gegenzug schickt das Handy auch immer mehr Daten ins Internet und in die Datenwolke. Geknipste Fotos werden sofort in Fotosammlungen im Internet publiziert oder in sozialen Netzwerken gepostet. Dank immer besserer Fotoqualität der Handys wachsen die Dateigrössen dabei ebenfalls permanent.
Alle profitieren von LTE-Netzen
Bei der Frage «Wer braucht 100 Megabit?» wird oft vergessen, dass Handy-Datennetze wie ein Fondue funktionieren. Genauso wie sich beim Käseschmaus alle aus einem Caquelon bedienen, teilen sich auch bei LTE mehrere Nutzer die 100 Megabit Maximalleistung einer LTE-Zelle beziehungsweise eines Sendemasten.
Besonders deutlich wird das beim Surfen im Zug. Bei LTE können maximal hundert Mitfahrende noch mit je einem Megabit Datenrate mit dem Smartphone surfen. Auch Zugreisende, die selber gar kein LTE- Gerät haben, profitieren indirekt von neuen Netz.
Weil viele Intensiv-Nutzer bereits die neue LTE-Technik verwenden, belasten sie das herkömmliche Datennetz von UMTS und HSPA nicht mehr. Dieses bietet dadurch den Besitzern von älteren Geräten wieder mehr Surftempo.
Kein Frequenzchaos in der Schweiz
Weil weltweit die Funkfrequenzen rar werden, können die Telekomanbieter für LTE rund ein Dutzend Frequenzen zwischen 700 und 2600 MHz nutzen. LTE-Geräte «verstehen» davon drei bis fünf Varianten. Dies führte dazu, dass erste LTE-Geräte, wie das iPad 3, ausschliesslich in den USA zu gebrauchen waren.
In der Schweiz werden voraussichtlich Orange, Sunrise und Swisscom für LTE die Frequenzbänder von 800, 1800 und 2600 MHz verwenden. Apples neue Geräte verstehen davon zwar nur eine (1800 MHz), das iPhone 5 wird aber dennoch bei allen drei Anbietern das neue schnelle Mobilfunknetz 4G nutzen können.
Apple führt Tests durch
Dass iPhones bei Swisscom das schnelle LTE einige Wochen später nutzen können als die LTE-Geräte anderer Hersteller, liegt an Apple. «Apple möchte Tests auf den LTE-Netzen durchführen, bevor die Funktion per Softwareupdate freigeschaltet wird», erklärte Olaf Schulze von Swisscom. «Somit können iPhone-5-Kunden 4G nicht direkt beim Start des neuen Netzes nutzen, sondern erst mit Verzögerung.»
Wer nicht warten will, kauft Smartphones von HTC, LG, Nokia und Samsung, die meist auch alle drei Schweizer Frequenzen unterstützen. In der Praxis werden also die meisten LTE-Smartphones und USB-Sticks eines Providers auch im LTE-Netz der Konkurrenten arbeiten.
Alle LTE-Geräte kommen übrigens mit den bisherigen Funktechniken wie UMTS, HSDPA, EDGE und GPRS zurecht. Wer sich also ein LTE-Gerät vom Weihnachtsmann wünscht, kann das mobile High-Speed-Internet in den Städten bereits nutzen und in den Randgebieten die bisherige Technik verwenden.
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