Cybermobbing wird immer grausamer

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Bund völlig überfordertCybermobbing wird immer grausamer

Verleumdungen im Netz, gefälschte Profile auf Facebook, bitterböse Beleidigungen im Chat: Die Fälle von Cybermobbing unter Schülern nehmen neue Dimensionen an. Oft muss die Schule eingreifen.

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Erschreckende Zunahme: Immer mehr Schüler werden nicht nur auf Facebook Opfer von Cybermobbing.

Erschreckende Zunahme: Immer mehr Schüler werden nicht nur auf Facebook Opfer von Cybermobbing.

«Die Schüler werden paranoid - und zwar zu Recht.» Dies sagt einer, der es wissen muss: Sébastien Gogniat von der Waadtländer Schuldirektion. Die Zahl der Fälle nehme immer mehr zu, sagt der Pädagoge, der an einer Studie zu ­Cybermobbing arbeitet (siehe Info-Boxen).

Laut einer Befragung der Universität Zürich wurde bereits jeder fünfte Siebtklässler mindestens einmal in den letzten vier Monaten Opfer von ­Cybermobbing. Das geht so weit, dass Primarschüler mit ihrer Familie den Wohnort wechseln müssen. In anderen Fällen werden im Internet Fotos der Schüler auf gemeinste Art und Weise manipuliert, wie Nadia Garcia vom Beratungsangebot Eltern.net erzählt. «Erschreckend oft werden auch falsche Facebook-Accounts erstellt.»

Vieler Eltern überfordert

In Frankreich hat der Staat diese Woche nun eine grosse Kampagne gegen Cybermobbing lanciert. Zudem müssen dort die Lehrer überwachen, ob ihre Schüler online über andere herziehen. In der Schweiz ist man davon noch weit entfernt. Zwar sind die Lehrer alarmiert: «Cybermobbing ist an Elternabenden häufig ein Thema», sagt Beat Zemp, Präsident des Lehrerverbands.

Viele Eltern sind mit dem Problem nämlich völlig überfordert und fordern, dass die Schule eingreift. Ab 2014 wird Medienpädagogik deshalb schon in der Primarstufe gelehrt. Zudem ist Cybermobbing im Februar Schwerpunktthema bei der Schweizerischen Kriminalprävention. Laut CVP-Nationalrätin Barbara Schmid- Federer fehlt es aber an Koordination: Der Bund müsse endlich das Heft in die Hand nehmen (siehe Interviewin Info-Box).

Wurden Sie auch schon Opfer von Cybermobbing? Schreiben Sie uns Ihre Geschichte an feedback@20minuten.ch

Als Prostituierte verunglimpft

An einer Deutschschweizer Schule wird eine junge Frau von einem Mitschüler massiv gemobbt: Unter anderem stellte er vor kurzem Videos auf YouTube, die das Mädchen als Prostituierte verunglimpfen. Zudem wird sie in Kommentaren fertiggemacht. Das Mädchen mit Migrationshintergrund hat Angst, dass ihre Familie das Ganze glauben könnte. Sie erstattet deshalb keine Anzeige.

Schüler duschen in Unterhosen

Der Spezialist für Internetprobleme des Kantons Waadt, Sébastien Gogniat, analysiert zurzeit eine Untersuchung zum Thema Cybermobbing. Demnach duschen 13- bis 15-jährige Schüler in Unterhosen, weil sie sich fürchten, dass Nacktfotos von ihnen ins Internet gelangen könnten. «Es gibt immer mehr solche Fälle, das ist schrecklich», sagt er in «24 heures».

Frau Schmid-Federer*, warum unternimmt der Bund nichts gegen Cybermobbing?

In Bern interessiert das Thema kaum jemanden. Viele Politiker sind über 50 und können sich unter Cybermobbing nichts vorstellen und sind mit dem Thema überfordert. Als ich vor vier Jahren die ersten Vorstösse zum Thema eingereicht hatte, wurde ich nur belächelt.

Aber es gibt doch immer wieder mal neue Aktionen?

Schon. Das Problem ist aber, dass diese Präventions- und Bekämpfungsaktionen national nicht koordiniert sind. Deshalb kocht jeder Kanton am Ende sein eigenes Süppchen. Der Bundesrat müsste also endlich hinstehen und sagen: So, jetzt packen wir das Problem an den Hörnern.

Was muss passieren, damit endlich gehandelt wird?

Wohl etwas ganz Schlimmes, das ist die bittere Wahrheit. Dabei ist für die Experten klar: Es braucht erstens Prävention, zweitens eine Anpassung des Strafgesetzes und drittens muss die Polizei wieder verdeckt ermitteln können.

*Barbara Schmid-Federer ist CVP-Nationalrätin

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