Hysterie um WhatsApp-Konkurrent LINE

Aktualisiert

Umstrittene Gratis-AppHysterie um WhatsApp-Konkurrent LINE

Eine Smartphone-App aus Japan verspricht kostenlose SMS und Anrufe. Doch nun tauchen immer mehr Horrormeldungen über astronomische Rechnungen auf. Die Erklärung liegt auf der Hand.

Daniel Schurter
von
Daniel Schurter
Rund um die LINE-App kursieren die verrücktesten Gerüchte.

Rund um die LINE-App kursieren die verrücktesten Gerüchte.

Die Aufregung um die Gratis-App LINE nimmt immer groteskere Formen an. Das zeigen die mittlerweile 700 Rezensionen im App Store von Apple. Wer die zusammen mit den Bewertungen veröffentlichten Nutzer-Kommentare liest, glaubt sich im falschen Film. Viele Beiträge enthalten Fluchwörter und übelste Beschimpfungen an die Adresse der japanischen Entwickler. Die Rede ist von Abzockerei.

Bei 20 Minuten Online haben sich zahlreiche besorgte Leser gemeldet. Und auch auf Facebook herrscht grosse Verunsicherung wegen der Smartphone-App, die auf das iPhone und Android-Handys heruntergeladen werden kann. Zahlreiche Nutzer behaupten, LINE verursache versteckte Kosten und habe ihnen eine ungewollt hohe Handy-Rechnung eingebrockt. Vereinzelt ist von Beträgen in vierstelliger Höhe die Rede.

20 Minuten Online kommt nach Recherchen zu einem eindeutigen Ergebnis. Die App ist seriös und hält, was sie im Produktebeschrieb verspricht. Das heisst, man kann über den Internet-Messaging-Dienst kostenlos chatten - sprich Textnachrichten und Bilder austauschen - und mit anderen LINE-Nutzern telefonieren. Wer dies nicht über eine WLAN-Verbindung tut, hat jedoch mit Kosten zu rechnen. Das hängt vom Handy-Abo und der übertragenen Datenmenge ab, scheint aber vielen (verärgerten) Nutzern nicht bewusst gewesen zu sein.

Der Haken an der Sache

Wer über die LINE-App ein Telefongespräch führt, braucht dazu eine Internetverbindung. Wenn man mit dem Smartphone nicht in ein WLAN-Netzwerk eingewählt ist, erfolgt die Verbindung über das Netz des eigenen Mobilfunk-Anbieters (Swisscom, Sunrise etc.). Das kann dann zu beträchtlichen Kosten führen, wenn die gesprochenen Worte bei Voice over IP (VoIP) als Datenpakte übertragen werden. Je länger ein Gespräch, desto mehr Megabytes. Bei Textnachrichten ist die übertragene Datenmenge hingegen vergleichsweise klein.

Die japanische Entwicklerfirma spielt mit offenen Karten und weist die App-Nutzer schriftlich darauf hin. Im Produktebeschrieb heisst es: Es könnten Kosten anfallen beim Mobilfunkanbieter, denn es würden wie bei anderen Apps gewisse Datenmengen übertragen. Wer zudem seine im Adressbuch gespeicherten Kontakte zu LINE einladen will, tut dies über möglicherweise kostenpflichtige SMS (hängt vom Handy-Abo ab). Auch darauf wird der Nutzer in Englisch hingewiesen.

Weiter versichert die Entwicklerfirma in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber 20 Minuten Online, dass die LINE-Nutzung gratis sei und es immer bleiben werde. «Wir stellen für keine der Dienstleistungen eine Rechnung, ob Telefonanrufe oder Chat-Nachrichten, inklusive Texte, Bilder und Standort-Daten.»

Swisscom: Es können Kosten anfallen

Die Swisscom will die Probleme nicht bestätigen. «Wir können nicht im Detail zu jeder Smartphone-App Stellung nehmen», erklärt der Mediensprecher. Es sei tatsächlich so, dass bei der Nutzung von Internet-Diensten über die Mobilfunkverbindung (2G oder 3G) zusätzliche Kosten anfallen können. Dies betreffe alle Handy-Abonnemente mit begrenztem Datenvolumen.

Der Swisscom-Sprecher weist darauf hin, dass kein Kunde mit einer Horrorrechnung über mehrere hundert Franken rechnen müsse. Bei einer Überschreitung des vertraglich vereinbarten Datenvolumes würden 10 Rappen pro Megabyte berechnet, bis zu einem Maximalbetrag von 5 Franken pro Tag. Kunden, die wegen allfälliger Kosten verunsichert seien, könnten ihr Guthaben jederzeit abfragen. Dazu genüge es, eine Gratis-SMS mit dem Text STATUS an die Zielnummer 444 zu senden. Daraufhin werde das verbleibende Megabyte-Guthaben angezeigt.

Sunrise: «Keine versteckten Kosten»

Auch Sunrise erklärt gegenüber 20 Minuten Online, dass keine Probleme bei Sunrise-Kunden bekannt seien. «Die erwähnten 'versteckten Kosten' gibt es aus unserer Sicht nicht.» Die Aufmachung der LINE-App mit den Angaben «FREE Calls» und «FREE Messages» sei aber etwas irreführend, da ja die entsprechenden Daten konsumiert würden.

Sunrise sei es ein wichtiges Anliegen, die Kunden stets transparent über alle angefallenen Kosten auf dem Laufenden zu halten. Abo-Kunden können sich jeweils über *133# zum aktuellen Rechnungsstand informieren und so negative Überraschungen bei ihrer Handyrechnung vermeiden.

Um die Kunden zu schützen, werden laut Sunrise maximal 15 Franken verrechnet. Prepaid-Kunden zahlen mit der neuen go Datadayflat einen Franken pro Nutzungstag und unabhängig des Volumens.

Meistgeladene App

Die LINE-App war im Januar während mehreren Tagen die meistgeladene App im Schweizer App Store von Apple. Das war just in dem Zeitraum, indem der Marktführer WhatsApp vorübergehend aus dem App Store verschwand (20 Minuten Online berichte). Derweil melden sich im Internet auch die überzeugten LINE-Nutzer zu Wort: «Wenn man bei WhatsApp telefonieren könnte, hättet ihr auch hohe Rechnungen!», heisst es in einer positiven Bewertung im App Store. Überhaupt scheint ein Glaubenskrieg zu toben zwischen WhatsApp-Nutzern und LINE-Nutzern. Öfter ist auch der Vorwurf zu hören, LINE werde absichtlich schlecht gemacht, um die Leute dazu zu bewegen, zurück zu WhatsApp zu wechseln.

Dass in den vergangenen Tagen Hunderte negativer Bewertungen beim Schweizer App Store eingegangen sind, scheint ein länderspezifisches Phänomen zu sein. In zahlreichen anderen Ländern sind die App-Bewertungen überwiegend positiv. LINE wird von vielen Nutzern als ernsthafter WhatsApp-Herausforderer bezeichnet. Auch wenn die im letzten Jahr veröffentlichte Software noch Entwicklungspotenzial habe.

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