Euro 2012England scheitert wieder vom Punkt aus
Italien zieht nach Penaltyschiessen gegen England in die Halbfinals der Europameisterschaft ein. Die Engländer können ihre seit 1996 anhaltende Elfmeter-Negativserie nicht beenden und scheiden aus.
England ist einmal mehr im Viertelfinal eines grossen Turniers gescheitert. Die Engländer unterlagen im EM-Viertelfinal Italien nach Penaltyschiessen 4:2. Nach 120 Minuten hatte es 0:0 gestanden. Italien trifft nun im Halbfinal auf Deutschland. Das Penaltyschiessen war von ganz besonderer Tragik aus Sicht der Engländer. Nachdem Mario Balotelli und Steven Gerrard getroffen hatten, war Riccardo Montolivo der Erste, der scheiterte. Doch die Engländer brachten die Führung nicht über die Distanz. Ashley Young traf nur die Latte und Ashley Cole scheiterte an Italiens Keeper Gianluigi Buffon. Für den siegbringenden Schuss sorgte Alessandro Diamanti.
Es war kein Match der wenigen Torchancen, beide Teams hatten ihre Möglichkeiten, in den 120 Minuten für die Entscheidung zu sorgen. Zum Penaltyschiessen kam es nur, weil kein Spieler das Abschlussglück auf seiner Seite hatte, nicht Italiens Mario Balotelli, nicht Englands Wayne Rooney. Dieser hatte in der Nachspielzeit mit einem Fallrückzieher beinahe für den K.o.-Schlag gesorgt.
Italien, das durch den eingewechselten Antonio Nocerino ebenfalls in den Schlussminuten der regulären Spielzeit eine gute Chance vergeben hatte, machte in der Verlängerung den physisch besseren Eindruck. Überhaupt hatte der Europameister von 1968 mehr Grund über den Gang ins Penaltyschiessen zu lamentieren. Daniele De Rossi (3.) mit einem herrlichen Halbvolley und Alessandro Diamanti (101.) mit einer an Freund und Feind vorbeiziehenden Flanke trafen jeweils den rechten englischen Pfosten.
Der starke Diamanti, der in der 79. Minute Antonio Cassano ersetzt hatte, bereitete mit seiner Hereingabe auch die letzte Grosschance der im Verlauf der Verlängerung immer überlegener agierenden Italiener vor. Der Kopfballtreffer von Antonio Nocerino wurde aber zu Recht wegen Abseits nicht anerkannt. Verdient wäre ein italienischer Treffer zu diesem Zeitpunkt längst gewesen. Denn England verliessen immer mehr die Kräfte.
Versuche aus der Distanz
Es war ein bisschen verkehrte Welt in Kiew. Auf der einen Seite die traditionell eher stürmischen Engländer in der Rolle der Defensivkünstler und auf der anderen Seite die Italiener, Erfinder des Catenaccio, auf der Suche nach der Lücke im generischen Mauerwerk. Es war eine undankbare Aufgabe für die «Squadra Azzura», den immer wieder blieben die Pässe in die Spitze an einem Engländer hängen.
Trotzdem kamen die Italiener zu ihren Chancen. Balotelli, der für Antonio Di Natale in die Startformation zurückgekehrt war, konnte sich verschiedentlich in gute Abschlussposition bringen. Nur konnte er es nicht gewinnbringend umsetzen. Einmal verpasste er mit freier Bahn auf das Tor von Joe Hart den richtigen Moment für den Abschluss, ein anderes Mal geriet sein Schuss zu ungenau oder ein Verteidiger konnte im letzten Moment intervenieren. Nichtsdestotrotz: Balotelli war selbst gegen das starke englische Innenverteidiger-Duo Terry/Lescott ein stetiger Gefahrenherd.
Am nächsten kam aber Daniele De Rossi der italienischen Führung. Der Mittelfeldspieler der AS Roma setzte mit einem Schuss aus der Drehung das erste Ausrufezeichen der zweiten Halbzeit, nachdem er bereits den ersten Umgang mit dem Pfostenschuss lanciert hatte. Es war der erste von zahlreichen Weitschüssen der Italiener. Beeindruckend viele sorgten für Gefahr. In der 52. Minute schoss Andrea Pirlo aus rund 25 Metern und löste damit eine Doppelchance aus: Balotelli scheiterte an Hart, und Riccardo Montolivo verfehlte das Ziel.
Die Taktik, den Torerfolg aus der Distanz zu suchen, war nachvollziehbar - angesichts des sehr defensiv eingestellten, aber offensiv keineswegs ungefährlichen Gegners. Jeder italienische Ballverlust wurde mit beeindruckender Geschwindigkeit und Ballsicherheit mit einem Konter bestraft. Die Mannschaft von Cesare Prandelli tat also gut daran, nicht mit vollem Risiko anzurennen.
Englische Nadelstiche
Die Nadelstiche, die die Truppe von Roy Hodgson setzte, taten weh. Gianluigi Buffon musste nach fünf Minuten sein ganzes Können zeigen, als Glen Johnson aus fünf Meter zum Abschluss kam. Nach einer Viertelstunde landete Wayne Rooneys Kopfball nur knapp über dem Tor und nach einer halben Stunde führte eine Kombination zwischen Rooney und Danny Welbeck, der auch bei Manchester United sein Teamkollege ist, zu einem Abschluss an der Strafraumgrenze. Noch besser war die Position von Ashley Young in der 65. Minute, sein Schuss aber zu ungenau.
So konsequent England an seinem Defensivkonzept festhielt, so engagiert suchte es bei eigenem Ballbesitz den schnellen Weg nach vorne. Auch die Aussenverteidiger schalteten sich dann in die Angriffsbemühungen ein. Dadurch entwickelte sich zumindest phasenweise - nämlich dann, wenn die beiden Mannschaften ein wenig die Ordnung verloren - ein temporeiches Spiel mit vielen Strafraumszenen. Vier, fünf Stationen reichten Steven Gerrard und Co. oft bis zum gegnerischen Strafraum.
Zum grossen Coup und dem ersten EM-Halbfinaleinzug seit 1996 reichte es dennoch nicht. Es ist Italien das sich im Klassiker am Donnerstag in Warschau mit Deutschland misst. Noch nie hat die «Squadra Azzurra» bei einem grossen Turnier in der K.o.-Runde gegen Deutschland verloren.
England - Italien 0:0 n.V. - Italien 4:2-Sieger im Penaltyschiessen.
Olympiastadion, Kiew. - 64'340 Zuschauer. - SR Proença (Por).
Penaltyschiessen: Balotelli 0:1, Gerrard 1:1; Montolivo 1:1 (daneben), Rooney 2:1; Pirlo 2:2, Young 2:2 (Latte); Nocerino 2:3, Cole 2:3 (Buffon hält); Diamanti 2:4.
England: Hart; Johnson, Terry, Lescott, Cole; Milner (61. Walcott), Gerrard, Parker (94. Henderson), Young; Rooney, Welbeck (60. Carroll).
Italien: Buffon; Abate (90. Maggio), Barzagli, Bonucci, Balzaretti; Pirlo; Marchisio, Montolivo, De Rossi (80. Nocerino); Cassano (78. Diamanti), Balotelli.
Bemerkungen: 3. Pfostenschuss De Rossi. 101. Pfostenschuss Diamanti. 115. Tor von Nocerino wegen Offside aberkannt. Italien ohne Chiellini (verletzt). Verwarnungen: 82. Barzagli (Foul). 93. Maggio (Foul/im Halbfinal gesperrt).
Alle Penaltys im Viertelfinale zwischen England und Italien (Quelle: YouTube/po pop)
(si)