Sexuelle ÜbergriffeFrauen werden bei Festivals zu Freiwild
Von Grapschern bis zur Vergewaltigung: Jungen Frauen droht bei Festivals Gefahr. Eine Expertin fordert mehr Aufmerksamkeit.
Allein unter tausenden Menschen, die Freunde verloren, das Mobiltelefon geklaut, ein leichter Schwips – da stehen die Männer schon bereit. Sie wollen testen, wie weit sie gehen können. So erzählt es die Münchner Traumatherapeutin Alexandra Stigger, die eine Beratungsstelle beim Oktoberfest betreut.
Grossveranstaltungen sind Feste, bei denen eigentlich jeder Spass haben soll. Doch aus der gigantischen Party kann schnell ein Albtraum werden. Im Jahr 2011 machte ein Fall Schlagzeilen, bei dem eine 19-Jährige bei «Rock am Ring» vergewaltigt worden war.
Die Frau war auf der Suche nach einer Toilette, als zwei Männer sie überwältigten, wegschleppten und einer sie vergewaltigte. Im Hintergrund dröhnten die Bässe der Band «System of a Down».
Kaum Anzeigen, weil sich die Frauen schämen
Die Schwesterfestivals «Rock am Ring» und «Rock im Park» sind am vergangenen Wochenende wieder über die Bühne gegangen. Die Bilanz: 337 Strafanzeigen, 200 davon wegen Diebstählen, 18 wegen Sachbeschädigungen und neun wegen Körperverletzung. Wegen Belästigungen meldete sich niemand, sagt Polizeisprecher Lars Brummer.
Kein Problem also? Im Gegenteil, findet Stigger. Jedes Jahr komme es bei Festivals zu sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen. Ans Licht kämen aber die wenigsten, weil viele Frauen aus Scham keine Anzeige erstatteten.
«Wenn ihre Lage ausgenutzt wird, ist sie nicht schuld»
«Eine Frau muss nackt und sturzbetrunken über ein Festival laufen können, ohne dass ihr etwas zustösst», sagte Stigger im Interview mit dem BR-Magazin «Puls». Gegenüber 20 Minuten präzisierte sie, dass sie sich eine radikale Bewusstmachung der Rechte einer Frau wünscht, sowohl von Seiten der Helfer als auch von anderen Gästen. Allzu oft mache die Öffentlichkeit die Kleidung der Opfer oder zu viel Alkohol verantwortlich. «Egal, in welchem Zustand eine Frau ist: Wenn ihre Lage ausgenutzt wird, dann ist sie nicht schuld.»
Dabei sei ihre besondere Verletzlichkeit vielen Frauen durchaus bewusst, wenn sie betrunken seien: Manche irrten vielleicht seit Stunden schon über die Wiese und hätten Angst, sagt Stigger. «Sie fühlen sich eingeschränkt in ihrer Selbstschutzfähigkeit.» Gerade Frauen, die bereits sexuelle Gewalt erlebt haben, könne das «triggern», also emotional in den Moment der Wehrlosigkeit zurückversetzen.
«Die Festivalapotheke hält die Pille danach zur Verfügung»
Viele Festivalbetreiber reagieren auf das Problem. Laut Martin Reitmaier, mitverantwortlich für das Sicherheitskonzept bei «Rock im Park», wird geschultes Sicherheitspersonal eingesetzt, das speziell auf die Gefahr sexueller Übergriffe hingewiesen und entsprechend sensibilisiert wurde. «Wir halten über den Sanitätsdienst einen psychologischen Betreuungsdienst vor.»
Weibliche Sanitäter sollen zudem Anlaufstelle für Frauen sein, die Hilfe brauchen. «Die Festivalapotheke hält die Pille danach zur Verfügung.» Und Mitarbeiter des Jugendamtes sprechen gezielt junge Frauen an und klären auf. «Es wird also sehr viel getan, um junge Frauen zu sensibilisieren und zu schützen», sagt Reitmaier.
Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen: Sind Sie bei Festivals oder an Volksfesten belästigt worden?