«Ich weiss nicht, was in Bonos Kopf vorgeht»

Aktualisiert

Stephan Eicher«Ich weiss nicht, was in Bonos Kopf vorgeht»

Der Schweizer Musiker Stephan Eicher ärgert sich über die Gratis-Musik-Aktion von Apple und U2. 20 Minuten hat er erklärt, warum Bono allen Musikern einen Bärendienst erweist.

Gabriel Brönnimann
von
Gabriel Brönnimann
Stephan Eicher: Der Schweizer Musiker hat keine Freude an der Aktion von U2 und Apple und fragt sich, was in Bonos Kopf vorgeht.

Stephan Eicher: Der Schweizer Musiker hat keine Freude an der Aktion von U2 und Apple und fragt sich, was in Bonos Kopf vorgeht.

Auf den ersten Blick haben Bono und Stephan Eicher wenig gemeinsam. Auf der einen Seite ist da der Multimillionär wenn nicht -milliardär Bono, Bandleader einer der wenigen verbliebenen, weltweit stadionfüllenden Popbands, gern gesehener Begleiter von CEOs und Präsidenten. Auf der anderen Seite Stephan Eicher, Schweizer Musiker aus Münchenbuchsee BE. Und doch sind die Gemeinsamkeiten beim genauen Hinschauen nicht zu übersehen: Bono, 1960 geboren als Paul Hewson in Dublin, und Stephan Eicher, geboren 1960, begannen beide schon als Teenager in den 70er-Jahren Musik zu machen.

Dazu feierten beide ihre ersten Erfolge 1980 im Alter von 20 Jahren: Der Ire mit dem ungestümen Jugendalbum «Boy» und den rebellischen Frühwerken «October» und «War» (1980 bis 1983) - bis zum definitiven internationalen Durchbruch mit «Unforgettable Fire» (1984) und dem kolossalen Auftritt bei «Live Aid» im Wembley (1985). Zwei Milliarden sahen das Konzert - und die Band war eine Wucht. Der Schweizer prägte sich mit seinem unvergleichlichen Gesang auf der Kult-Hit-Single «Eisbär» (1980) der Post-Punk/Welle-Band Grauzone seines Bruders Martin Eicher ins internationale Musikgedächtnis.

Der finanzielle Erfolg Eichers lässt sich selbstredend nicht mit dem eines Bono vergleichen - doch grossen Erfolg hat auch der Schweizer. Kein Solo-Werk, das es nicht in die Schweizer Album-Charts geschafft hätte. Ausverkaufte Konzertsäle, wo immer er auftritt. Welttourneen mit hervorragenden Musikern. Eicher hat auch geschafft, was noch keinem anderen Schweizer gelungen ist: Dank ihm sang Anfang der 1990er-Jahre ein ganzes Stadion voller Franzosen inbrünstig «Hemmige» von Mani Matter - auf Berndeutsch. Die Single des Hit-Albums «Engelberg» (1991) schaffte es in Frankreich in die Top 20 und wurde am Radio rauf und runter gespielt.

«Es muss verwirrend sein, das Ohr des Rockfans zu verlieren»

Was bewegt Stephan Eicher nun dazu, Bono zu kritisieren? Nachdem die Band ihr neues Album «Songs of Innocence» («Lieder der Unschuld») gratis für iTunes-Nutzer veröffentlichte (und, was viele verärgerte, es danach ungefragt in den Playlisten von iPhone-Besitzern auftauchte), schrieb Eicher einen langen Post auf Facebook. Eicher findet, die Abgabe eines Albums an so viele Menschen fördere nur den Eindruck, Musik sei gratis. (Ein falscher Eindruck: Es ist zwar nicht offiziell bekannt, wie viel Apple für den Deal an U2 bezahlt hat - laut Angaben von Insidern in der «New York Times» sind es bis zu 100 Millionen Dollar - doch das «Geschenk» fand unter den grossen Lettern «Free» statt.)

Bei diesem Spiel können höchstens ein paar wenige Acts mitmachen, insinuiert Eicher - alle anderen sind auf ein funktionierendes Umfeld (Studios, Marketing, Label-Arbeit, Rechteverwertung etc.) angewiesen. Und darauf, dass Leute Geld ausgeben für die Musik, die sie mögen. Das sei durch die Gratis-Kultur und den Zusammenbruch der Song- und Albumverkäufe akut bedroht. Eicher: «Musik gratis als PR-Stunt abzugeben und dafür noch Applaus zu ernten, das lässt uns andere Musiker einfach nur sprachlos zurück.»

20 Minuten fragte nach, was Stephan Eicher von Bono hält, dem ehemaligen Rebellen, der zwar immer noch für wohltätige Zwecke wirbt - gleichzeitig aber seit zehn Jahren eng mit dem grössten Computerkonzern der Welt zusammenspannt, viele Apple-Aktien besitzen soll, rund 10 Prozent der Private-Equity-Firma «Elevation Partners» (benannt nach dem U2-Song Elevation, mitbegründet von Apples Ex-CFO Fred Anderson, mit Facebook, Forbes, MarketShare und Yelp im 1,9 Milliarden Dollar schweren Portfolio) sein Eigen nennt und sich unentwegt Seite an Seite mit Politikern aller Lager ablichten lässt.

Die Antwort des Schweizer Musikers spricht für sich. Hier lesen sie sie in voller Länge:

«Für mich stand U2 seit der Zusammenarbeit mit Brian Eno und Daniel Lanois für drängende, leidenschaftliche Musik. 'One' ist und bleibt ein toller Song; der simple Puls von 'With or Without You' holt mich auch heute noch ab. Ich weiss aber nicht, was im Kopf von Bono vorgeht - noch weniger in seinem Herzen.

Ich denke, der Ausgangspunkt seines Tuns ist sicher - wie bei fast allen Menschen - ein gut gemeinter, respektabler. Es muss auch sehr verwirrend sein, das Ohr des Rockfans zu verlieren und das der Mächtigen dieser Welt zu gewinnen. Das scheint mir eine überaus verführerische, aber auch schwierige Ausgangslage zu sein, um am Morgen aufzustehen und mitreissende Songs zu schreiben, welche dann noch wie ein aufdringlicher Werbeprospekt auf meiner Harddisk auftauchen.

Dies ist hoffentlich nicht die Zukunft der populären Musik. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht, vor allem die Rolle von Apple und deren Streaming-Portal 'Beats Music'. Das wird wohl noch einmal alles auf den Kopf stellen. Was mich immer wieder überrascht, ist, dass dieser Film scheinbar ungehindert von den Institutionen, die unsere künstlerischen Rechte verwalten (Plattenfirmen, SUISA), abläuft.»

Deine Meinung zählt