Gross, flach, hochauflösendWie die Fussball-WM das Fernsehen revolutioniert
Vor Fussballweltmeisterschaften boomt das Geschäft mit den Fernsehern. Kein Zufall: Denn just zum Grossereignis wird das Fernsehen stets neu erfunden. Die 3D-Technik profitiert aber nicht vom Boom - noch nicht.
Sie gehen seit langem Hand in Hand, die Geschichte der Fussballweltmeisterschaften und die Verbreitung neuer Fernsehtechnologien. Zwar wurden bereits in den 30er Jahren in mehreren europäischen Ländern Schwarz-Weiss-Fernsehdienste aufgenommen. Der Durchbruch des Fernsehens im vom Zweiten Weltkrieg gebeutelten Europa gelang jedoch erst 1954 mit der Fussball-Weltmeisterschaft in der Schweiz. Dank der zwei Jahre zuvor gegründeten Eurovision wurden die Spiele erstmals europaweit live ausgestrahlt.
Noch konnte sich jedoch längst nicht jeder einen Fernseher leisten. Die Menschen drängten sich in überfüllten Restaurants oder vor Schaufenstern von Fernsehgeschäften um gebannt in die kleinen, flimmernden Bildschirme zu starren. Millionen sahen, wie Schäfer im Finalspiel in der 84. Minute «nach innen flankte», ein ungarischer Verteidiger mit einem Kopfball den Ball aus dem Strafraum spielte, Rahn aus dem Hintergrund schoss und zum 3:2 für Deutschland traf. Das «Wunder von Bern» war auch ein Segen für die TV-Verkäufer, die in jenen Tagen das Geschäft ihres Lebens machten. Verschiedene Hersteller setzten gar ihre gesamten Lagerbestände ab.
20 Jahre später war es erneut eine Fussballweltmeisterschaft, die einer neuen Technologie auf die Sprünge half. Das Farbfernsehen eroberte seit den späten 60er Jahren nach um nach die Fernsehstuben Europas. Beim Turnier in Mexiko 1970, als die erste WM in Farbe und live aus Übersee ausgestrahlt wurde, waren die Farbfernseher aber nur einem gutbetuchten Publikum vorbehalten. Das «Jahrhundertspiel» zwischen Europameister Italien und dem Vizeweltmeister Deutschland (4:3 nach Verlängerung) sahen die meisten daher farblos. Wohl in diesem Wissen hatte der Weltfussballverband FIFA vor der WM bei Adidas den Fussball «Telstar» in Auftrag gegeben. Mit seinen schwarzen Fünf- und weissen Sechsecken war er gegenüber den bis dahin gebräuchlichen braunen Bällen im Schwarz-Weiss-Fernsehen besser zu sehen.
Totaler Fussball in orange
Erst die Weltmeisterschaft 1974 löste schliesslich einen regelrechten Boom im Verkauf von Farbfernsehern aus. Immer mehr Zuschauer wollten den «Totalen Fussball» unter der Regie des niederländischen Ausnahmefussballers Johan Cruyff in orangen statt grauen Trikots sehen. Weltweit verfolgten fast eine Milliarde Menschen die Fussballspiele im Fernsehen.
Der nächste relevante Schritt in der Entwicklung der Fernseher war die Umstellung vom 4:3- auf das 16:9-Format. Die Etablierung dauerte jedoch wesentlich länger, als zunächst angenommen. Obschon vereinzelt bereits in den 90er Jahren Sendungen und Filme im Breitbildformat ausgestrahlt wurden, sassen viele Zuschauer bis vor der WM 2006 weiterhin vor ihren alten Geräten. Erst mit der von der FIFA verordneten einheitlichen Produktion im neuen Format gelang der Durchbruch. Mit dem Kopfstoss Zinédine Zidanes gegen Marco Materazzi endete zudem nicht nur der französischen WM-Traum, sondern auch bei zahlreichen Sendern die Zeit der Eigenproduktionen im 4:3-Format.
WM der mobilen Endgeräte
Wenige Tage vor dem Anpfiff der diesjährigen WM in Südafrika am kommenden 11. Juni haben Angestellte in TV-Geschäften wieder einmal alle Hände voll zu tun. Die Verkäufe liefen entsprechend den Erwartungen gut, sagt Interdiscount-Sprecherin Andrea Bergmann ohne Zahlen nennen zu wollen. Besonders gefragt seien derzeit flache Full-HD-Grossbildschirme, die auf der Plasma- oder der LCD-Technologie basierten. Der Kaufanreiz im Hinblick auf das kommende Fussballturnier dürfte demnach der Wunsch nach einem grossen, hochauflösenden Bild sein.
Gleichzeitig wird die kommende aber auch die WM der ganz kleinen Bildschirme werden: jenen auf Smartphones. Erstmals wird es möglich sein, dass Fussballturnier auf mobilen Endgeräten live zu verfolgen. Die Swisscom hatte zwar bereits bei der Euro 2008 einen ähnlichen Dienst angeboten, da es damals aber nur zwei Mobiltelefone gab, mit denen das Handy-TV funktionierte, blieb es ein Nischenprodukt.
3D in Brasilien
Zu früh kommt die WM für eine weite Verbreitung der 3D-Fernseher, auch wenn laut Bergmann ein Anstieg der Nachfrage bemerkbar ist. Albrecht Gasteiner, Leiter des HDTV-Forum Schweiz ist überzeugt, dass es noch ein bisschen dauern wird, bis die 3D-Geräte eine breite Basis erreichen werden. «Anders als die bisherigen Innovationen, die alle auf etwas Bestehendem aufbauten, ist 3D eine völlig neue Angelegenheit, die eine neue Infrastruktur braucht», so Gasteiner, der von der wichtigsten Innovation in der Heimelektronik der letzten Jahrzehnte spricht. Wie sooft, wenn eine Technologie noch in den Kinderschuhen steckt, fehlen aber viele einheitliche Standards. «Alles was in Europa in diesem Bereich im Moment läuft sind Prestigeprojekte, um zu zeigen, dass man das auch kann», erklärt Gasteiner. An der WM in Südafrika wird die dritte Dimension daher vor allem den weltweit mehreren hundert Kinosälen überlassen, welche die Spiele übertragen. Das Kind soll deswegen aber nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden. Wiederholt sich die Geschichte der vergangenen Jahre, dürfte bereits die WM in Brasilien im Jahr 2014 für einen goldenen Absatz bei 3D-Fernsehern sorgen.