Arme MittelklasseBetteln im Lacoste-Shirt
Die Krise in Spanien macht derzeit vor nichts Halt. Die Suppenküchen sind überlaufen, die Sozialdienste überfordert. Auch die Mittelklasse leidet – und macht immer öfter die hohle Hand.

An einer noblen Ecke in Madrids Stadtzentrum bettelt ein Mann im Lacoste-Shirt - das bisher als Symbol des Wohlsstands galt. (Screenshot: El Mundo)
Kaputte und dreckige Kleider, nackte Füsse, ungepflegtes Aussehen – so sieht der Stereotyp des Bettlers aus. Kaum einer würde also meinen, dass der rasierte Mann im dunklen Lacoste-T-Shirt an der Ecke des noblen Paseo de los Recoletos im Zentrum von Madrid ein Bettler ist. Und doch steht er da, jeden Morgen ab 8.30 Uhr mit seinem Schild: «Spanier. Ohne Einkommen. Ohne Geld. Nehme jeden Job an.»
«Er kommt jeden Tag hierher», erzählt ein Kellner des benachbarten Café Gijón einem Reporter der spanischen Zeitung «El Mundo». An derselben Ecke haben schon früher Bedürftige gestanden und gebettelt, sagt der Kellner weiter, doch erstmals stehe einer in Kleidern da, die bisher als Symbol des Wohlsstands galten.
Caritas warnte vor Monaten
Die Hilfsorganisation Caritas warnt schon seit Monaten, dass nach der Unterschicht nun auch die Mittelklasse vor dem finanziellen Abgrund stehe. Man beobachte das vor allem in den Volksküchen: Täglich würden mehr Leute für einen Teller Essen kommen, heisst es von Seiten der Organisation. In den letzten Wochen sei sie von Anfragen «überflutet» worden, so dass sie die Leistung von zwei Mahlzeiten auf eine halbieren musste.
Die Hilfesuchenden seien «zu 75 Prozent arbeitslos», meint ein Mitarbeiter von Caritas. «58 Prozent suchen wegen Ernährungsmangel die Volksküchen auf, 41 Prozent können die Miete nicht mehr bezahlen und 40 Prozent behaupten, die Rechnungen von Strom, Wasser und Gas nicht mehr begleichen zu können.»
Notlage und Ausgrenzung sind nahe beieinander
Der Sozialdienst Samur der Stadt Madrid unterscheidet zwischen finanzieller Notlage und sozialer Ausgrenzung. In sozialer Ausgrenzung würden Menschen leben, die mehr aus eigenen persönlichen Gründen dort gelandet sind. In den meisten Fällen habe es mit der Finanzkrise gar nichts zu tun. «Die Zahl der sozial Ausgegrenzten ist nicht gestiegen», meldet Dario Perez vom Samur.
Perez muss aber zugeben, dass die Zahl der Menschen in finanzieller Notlage rasant gestiegen ist. Viele seien Migranten, die wegen der fehlenden familiären Unterstützung auf Hilfe des Staats angewiesen sind. Die Prognosen seien alles andere als rosig: «Im Moment kommen diese Leute noch über die Runden, indem sie in der U-Bahn Taschentücher verkaufen.» Dauert aber diese Situation lange an, ist das Risiko gross, dass sie in die soziale Ausgrenzung rutschen.