Mini-KrisengipfelMilliarden für die EU
Ministerpräsident Monti, Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Hollande und Premier Rajoy haben sich am Freitag in Rom auf ein 130 Milliarden Euro schweres Wachstumsprogramm geeinigt.

Der spanische Premierminister Mariano Rajoy, der französische Präsident Francois Hollande, der italienische Premierminister Mario Monti und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (vlnr.) beim Mini-Gipfel in Rom.
Rein temperaturtechnisch war Angela Merkel von vornherein im Nachteil bei diesem Vierergipfel. Schweisstreibende 35 Grad schlugen der Kanzlerin entgegen, als sie am Freitagnachmittag vor der Villa Madama aus ihrer klimatisierten Limousine stieg. In der sengenden Hitze über den Dächern Roms, weit oben auf dem Stadtberg Monte Mario, genoss ihr italienischer Gastgeber Mario Monti damit doppelten Heimvorteil. Wollte der Ministerpräsident die kühle Deutsche bei tropischen Verhältnissen weichgaren, damit er und seine beiden Komplizen ihr leichter politische Zugeständnisse abringen können?
Wenn das der Plan war, hat er - zumindest dem Anschein nach - nicht funktioniert. Nach aussen jedenfalls konnten weder Monti noch Frankreichs Staatspräsident François Hollande oder der spanische Regierungschef Mariano Rajoy die zur «Madame Non» getaufte Kanzlerin zum Einlenken bewegen. Nach zweistündigen Verhandlungen traten die «Big Four» der EU aufs Podium, verkündeten altbekannte Positionen - und lediglich eine neue Zahl: 130 Milliarden Euro.
So gross soll das Wachstumspaket ausfallen, dass die vier grössten Volkswirtschaften den anderen Mitgliedstaaten beim EU-Gipfel nächste Woche in Brüssel vorschlagen wollen. Weil Haushaltsdisziplin nicht genüge, um die Wirtschaft anzukurbeln, Investitionen zu fördern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und weil «wir damit deutlich machen wollen, dass wir alles tun, um für den Euro zu kämpfen und ihn zukunftsfähig zu machen», wie es Merkel formulierte. Die Summe klingt imposant, kam aber nicht ganz überraschend. Und wie genau sie sich aufschlüsselt, woher das Geld genommen oder wo es abgezwackt werden soll, darüber verlor keiner der Vier ein Wort.
Als Hollande Euro-Bonds erwähnt, gefriert Merkels Lächeln
Klar wurde bloss, dass zu dem Milliardenprogramm eine Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank gehören dürfte, dazu Projektanleihen und eine bessere Nutzung der EU-Strukturfonds. Geld für Konjunkturimpulse solle auch eine Finanztransaktionssteuer bringen, betonte Hollande im Namen aller. Die soll nun durch das Instrument der «verstärkten Zusammenarbeit» eingeführt werden - also in mindestens neun Staaten, nachdem eine EU-weite Einigung vor allem am britischen und schwedischen Widerstand gescheitert war.
Eigentlich liesse sich an diesem Punkt das Ergebnis des Mini-Gipfels mit Harmoniesosse übergiessen und anhand eines Merkel-Zitats zusammenfassen: «Ich stimme allem, was meine Vorredner gesagt haben, absolut zu.» Dazu noch Rajoys Lob für die «angenehme Atmosphäre» des Treffens in der «schönsten Stadt der Welt» und der Kanzlerin Dank an Monti «für die Gastfreundschaft und das wunderschöne Ambiente», fertig ist der vierfache Schulterschluss alla romana.
Und doch klangen zwischen den Zeilen Unstimmigkeiten durch, die sich trotz sichtlichen Bemühens auf dem Podium nicht ganz verbergen liessen. Als ein Journalist Hollande fragt, ob Merkels «deutsche Strenge» ihn von seinen geliebten Euro-Bonds abgebracht habe, reagiert die Kanzlerin noch sichtlich erheitert. Doch dann beginnt der Franzose zu referieren und ihr breites Lächeln weicht einer todernsten Miene. Die gemeinschaftlichen Staatsanleihen bezeichnet Hollande als «nützliches Instrument für mehr Finanzstabilität in Europa» und das «nicht erst in zehn Jahren».
Genüssliche Retourkutsche aus Montis Munde
Dieses Ansinnen hatte Merkel bislang stets eisern abgeblockt, und sie tat es auch an diesem Tag prompt wieder, ebenso wie beim Ruf nach direkter Bankenhilfe aus den Euro-Rettungsfonds. «Haftung und Kontrolle gehören zusammen», diktiert sie gleich mehrfach ins Mikrofon. Denn den Banken das Geld zu geben, sei die eine Sache. «Wenn ich aber gar nicht sagen kann, was diese Bank anders machen muss, weil ich gar keine Macht habe, … dann habe ich ein Riesenproblem.»
Monti wiederum, erzürnt über die von ihm als ungerecht empfundene Behandlung seines Landes durch die Finanzmärkte, mochte das Bild der verantwortungsbewussten Deutschen und ihrer nachlässigen Nachbarn so offenbar nicht stehen lassen - und nutzte die Gelegenheit zu einer Retourkutsche. Ob sich noch jemand an das Jahr 2003 erinnere? Damals seien Deutschland und Frankreich «in Komplizität» von den Haushaltsregeln der Währungsunion abgewichen. Und für den daraus resultierenden Vertrauensverlust, darauf legte der Italiener Wert, «sind wir nicht verantwortlich».
Und so bleibt von dem Treffen weniger Gewissheit, als vielmehr eine leise Ahnung: Dass es hinter den Kulissen hitziger zugegangen sein dürfte als nach aussen behauptet. Die Kanzlerin jedenfalls eilte nach der eigens vorverlegten Pressekonferenz einer Abkühlung entgegen und zum Flieger ins mildere Danzig, um am Abend die Fussballnationalelf im EM-Viertelfinale gegen Griechenland anzufeuern. Zumindest dort konnte sie dann einen unumstrittenen deutschen Sieg feiern. (sda)