Europa verschiebt sichNach Merkozy kommt Merkollonti
Das wars wohl mit den Tête-à-Têtes im Élysée und im Kanzleramt: Nach der Wahl von François Hollande zum französischen Präsidenten könnte aus dem Power-Duo ein Super-Trio werden.
Adieu Merkozy: Vorbei die Strandspaziergänge, auf denen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy die Strategie aus der Schuldenkrise ausheckten. Vorbei die Tête-à-Têtes in Élysée und Kanzleramt, bei denen das ungleiche Paar Athens Schuldenschnitt und den Fiskalpakt für die Eurozone entwarfen. Wer dem Tandem viele Tränen nachweint, vergisst den Ärger, den beide miteinander hatten und stifteten.
Schon kurz nach Sarkozys Amtsantritt vor fünf Jahren gab es ein ernsthaftes Zerwürfnis. Damals hatte Merkels sozialdemokratischer Finanzminister Peer Steinbrück den Staatschef aus Paris in Brüssel für den Bruch der europäischen Sparregeln gerügt. Sarkozy schnaubte vor Wut. Und als Merkel in der Finanzkrise 2008 zu zögerlich reagierte, frotzelte der Élysée-Chef: «Frankreich arbeitet, Deutschland denkt drüber nach.» Es dauerte lange, bis sich der dünnhäutige Zappelphilipp und die dickhäutige Kanzlerin zusammenrauften.
Und mit dem, was sie nach dem Schulterschluss ausbrüteten, stiessen sie die Europartner oft hart vor den Kopf. Als sich Merkel im Herbst 2010 Sarkozy beugte und eine Aufweichung der Sparregeln zuliess, da hätte nicht nur Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker das deutsch-französische Tandem gern zur Hölle fahren lassen. Dass die Eurozone nun, nach fünf Jahren Merkozy, einen historischen Fiskalpakt geschnürt hat, der der Währungsunion echte Stabilität geben soll: Das grenzt im Rückblick eher an ein Wunder als an einen deutsch-französischen Masterplan.
Es lebe Merkollande!
Perdu Merkozy, vive Merkollande! Nach seinem Wahlsieg am Sonntag ist François Hollande Merkels neuer Partner. Auch das Bündnis hat einen holprigen Start. Denn das Merkozy-Erbe, das Spardiktat, will der neue Mann an der Seine nicht akzeptieren.
In seiner ersten Rede nach dem Triumph, am späten Sonntagabend, wandte sich der Sozialist direkt an Berlin: «Es wird viele Länder geben, die nun erleichtert und hoffnungsvoll sein werden, dass das Sparen kein unabwendbares Schicksal ist», rief Hollande vor der Kathedrale in Tulle. Es sei nun seine Mission, «dass die europäische Konstruktion eine Dimension des Wachstums, der Beschäftigung und des Wohlstands erhält». Das werde er so schnell wie möglich seinen europäischen Partner sagen, zuerst Deutschland. «Wir sind nicht irgendein Land, wir sind Frankreich», fügte er mit stolzer Brust hinzu.
Ist der Fiskalpakt, die wichtigste Merkozy-Errungenschaft, damit schon wieder am Ende? Schlägt Hollande den Sargnagel in den Schuldenvertrag? Nein. Der Sozialist ist blitzgescheit. Er musste das sparmüde Wahlvolk bedienen, um Sarkozy zu stürzen. Aber er weiss, dass die Märkte ihn bestrafen, wenn er den Konsolidierungskurs verlässt. Zugleich ist er überzeugt, dass weder seine Grande Nation, noch Spanien, Italien oder Portugal wieder auf die Beine kommen, wenn das Wachstum nicht schleunigst zurückkehrt. Wie man dieses Ziel erreicht, darum geht es im Streit mit Merkel. Denn an der Spree wird die Forderung von der Seine, den Konjunkturmotor mit neuen Milliardenausgaben anzuwerfen, eiskalt abgeblockt.
Ciao Monti!
Buongiorno Merkollonti! Genau da bringt sich Rom ins Spiel. Es sei der italienische Regierungschef Mario Monti, der die Brücke zwischen beiden schlagen könne, sagt eine hohe Diplomatin am Tiber der Nachrichtenagentur dapd. «Die Zeit des deutsch-französischen Direktorats ist vorbei.» Merkozys Zickzackkurs habe für genug Unmut gesorgt, mit der drittgrössten Volkswirtschaft an Bord könne ein stabilerer Motor starten.
Es waren Merkel und Sarkozy, die den Hallodri Silvio Berlusconi im Herbst 2011 zum Abschuss freigaben. Seit seinem Amtsantritt hat sich Monti als verlässlicher Partner etabliert. Ihm wird ein enger Draht zu Merkel nachgesagt. Er krempelt sein Land mit harten Reformen um. Aber er teilt Hollandes Position, wonach Berlin mehr Spielraum für die Konjunkturerholung in Europa gewähren muss.
«Eine verantwortliche Haushaltspolitik ist notwendig, aber für nachhaltiges Wachstum nicht ausreichend», schrieb Monti in seinem Glückwunschtelegramm am frühen Montagmorgen an Hollande. «Das Sparen treibt viele Länder in die Rezession», sagt die römische Diplomatin. Ihrem Regierungschef könnte es am ehesten gelingen, Merkel zu mehr Pragmatismus zu bewegen - und Hollandes Ausgabenpolitik zurechtzustutzen.
Schuldenexperte Guntram Wolff, Vizedirektor des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel, glaubt, dass sich «Merkollonti» nicht nur hübscher anhört als «Merkollande». «Ich erwarte, dass die drei besser zusammenarbeiten, als es vorher mit Sarkozy möglich gewesen wäre», sagt er der dapd. Frankreich alleine hat zu viel Gewicht verloren, um mit Deutschland wirklich auf Augenhöhe zu verhandeln. Im Dreigestirn wären die Kräfteverhältnisse ausgeglichener. Der Druck auf Berlin, Zugeständnisse zu machen, würde grösser.
Ringen um den Wachstumspakt
Noch ist Hollande nicht im Amt, der Stabwechsel im Élysée ist erst am 15. Mai. Noch ist es zu früh, die neuen Koordinaten in Euroland genau zu bestimmen. Die ersten Zutaten, die in das von Hollande (und Monti) geforderte Wachstumspaket kommen, liegen aber schon auf dem Tisch: Die Europäische Investitionsbank (EIB) soll mehr Kapital für gezielte Investitionsprogramme erhalten. Auch der Versuch, mit Projektanleihen aus dem EU-Haushalt Infrastrukturprogramme zu fördern, hat das grüne Licht aus Berlin. Die bestehenden EU-Fonds könnten stärker für Länder in Not eingesetzt werden. Dabei muss für Merkel jede finanzielle Konjunkturhilfe mit verbindlichen Reformversprechen einhergehen. Ein entsprechender Pakt könnte schon auf dem EU-Gipfel Ende Juni auf den Weg gebracht werden.
Spannend ist die Frage, ob die Sparregeln des Stabilitätspaktes gelockert werden. So pocht Monti darauf, dass «produktive Investitionen» nicht auf das Defizit angerechnet werden. Und spannend ist der Weiterbau der Währungsunion. Anders als Sarkozy ist Hollande ein Verfechter von Euro-Bonds, mit denen die Schulden in der Gemeinschaft gemeinsam bedient werden. Auch Monti ist ein Anhänger von Euro-Bonds. Aus Rücksicht auf die Berliner Befindlichkeiten haben beide bislang nicht laut danach gerufen. Das könnte sich bald ändern.
Das waren Hollandes Wahlversprechen
Truppenabzug aus Afghanistan, Zehntausende neue Jobs und die Wiedereinführung der «Rente mit 60»: François Hollande hat im Wahlkampf zahlreiche Versprechungen gemacht. Ein Ausschnitt aus seinem Programm im Überblick:
Aussen- und Europapolitik: Der mühsam ausgehandelte EU- Fiskalpakt soll ergänzt werden. Zudem will sich Hollande für die Einführung von sogenannten Eurobonds für zukunftsträchtige Projekte einsetzen und mehr Engagement der Europäischen Zentralbank (EZB) im Bereich Beschäftigung und Wachstum einfordern. Die französischen Truppen sollen bereits bis Ende 2012 aus Afghanistan abziehen.
Steuern und Staatsfinanzen: Der neue Präsident plant erst für 2017 mit einem ausgeglichenen Haushalt. Er will vor allem reiche Franzosen stärker zur Kasse bitten und eine 75-Prozent-Steuer auf Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro erheben. Zudem ist Hollande für eine Finanztransaktionssteuer. Das Gehalt der Regierungsmitglieder und des Präsidenten soll um 30 Prozent gekürzt, die von Sarkozy beschlossene Mehrwertsteuererhöhung rückgängig gemacht werden.
Renten: Hollande will früh ins Berufsleben gestarteten Franzosen wieder die von Sarkozy abgeschaffte «Rente mit 60» ermöglichen. Dafür sollen die Sozialabgaben angehoben werden.
Arbeitsmarkt: Hollande will 150 000 Arbeitsplätze für junge Jobsuchende schaffen und über «Generationenverträge» Unternehmen entlasten, die sich sowohl für junge als auch für alte Arbeitnehmer einsetzen. Die Sarkozy-Regel, nach der die Hälfte der in Rente gehenden Beamten nicht ersetzt wird, soll gekippt werden.
Atom- und Energiepolitik: Der Anteil des Atomstroms am Energiemix soll bis 2025 von 75 auf 50 Prozent zurückgefahren werden. Dafür soll unter anderem das Atomkraftwerk Fessenheim im Elsass stillgelegt werden. Neue Atomreaktorprojekte sollen aber fortgeführt werden. Per Dekret will Hollande für drei Monate die Erhöhung der Benzinpreise verbieten.
Gesellschaft: Homosexuellen Paaren soll das Recht zu Heirat und Adoption gegeben und die Gesetzgebung zur Sterbehilfe soll liberalisiert werden.
Einwanderungspolitik: Wie Sarkozy hat Hollande eine Begrenzung der legalen Einwanderung versprochen - allerdings weniger radikal. Von 2014 an will er Nicht-EU-Bürgern die Teilnahme an Kommunalwahlen erlauben.