Selbstmordwelle wegen Krise schockt Italien

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Opfer der KriseSelbstmordwelle wegen Krise schockt Italien

Sparpolitik und Wirtschaftskrise stürzen die Menschen in Italien ins Elend. Immer mehr Verzweifelte setzen ihrem Leben ein Ende.

Arbeitslose, Pensionierte und Kleinunternehmer: In Italien wird die Liste der Menschen von Tag zu Tag länger, die sich unter dem Druck finanzieller Schwierigkeiten infolge der Wirtschaftskrise und der Sparpolitik das Leben nehmen. Seit Wochen berichten die Medien fast täglich von solchen Verzweiflungstaten.

Vor wenigen Tagen hatte die Selbstverbrennung zweier Männer die italienische Öffentlichkeit geschockt. In Bologna zündete sich ein 58-jähriger italienischer Bauarbeiter in seinem Auto an, nachdem er mehrere Abschiedsbriefe hinterlassen hatte. Der Mann stand wegen mutmasslicher Steuerhinterziehung in Höhe von rund 125 000 Franken vor Gericht. Wenige Tage später zündete sich ein marokkanischer Bauarbeiter in Verona auf offener Strasse an.

Für einen Eklat sorgte auch der Fall einer 78-jährigen Rentnerin auf Sizilien, die sich wegen finanzieller Schwierigkeiten das Leben nahm. Die alte Frau aus der Stadt Gela sprang vom Balkon ihrer Wohnung, nachdem sie erfahren hatte, dass ihre Rente um 240 Franken gekürzt worden war.

Aufruf zu Solidaritätsfonds

Die Zahl der Suizide wächst in Italien unter dem Druck der seit 2008 anhaltenden Krise rasant. Nach Angaben des Handwerkerverbands CGIA ist zwischen 2008 und 2010 die Zahl der mit finanziellen Problemen verbundenen Selbstmorde um 24,6 Prozent gestiegen. Bei den versuchten Selbstmorden wuchs die Zahl um 20 Prozent.

Allein 2011 hätten sich über 1000 Arbeitnehmer und Unternehmer das Leben genommen, das sind 24 Prozent mehr als 2008. Der Verband rief die Expertenregierung in Rom zur Einrichtung eines Solidaritätsfonds zur Unterstützung der Italiener auf, die wegen der Krise in Schwierigkeiten geraten sind.

Vorwürfe gegen Montis Regierung

Antonio Di Pietro, Chef der Mitte-Links-Partei «Italien der Werte» (Idv), machte Premier Mario Monti und seine rigorose Sparpolitik für die Selbstmorde verzweifelter Personen verantwortlich. «Immer mehr Italiener sind mittellos. Monti hat diese Toten auf dem Gewissen», sagte Di Pietro. Seine Worte lösten heftige Kritik in Regierungskreisen aus.

Der Verein Federcontribuenti beantragte bei der Staatsanwaltschaft in Rom, mindestens 18 Fälle von Selbsttötung seit Jahresanfang zu untersuchen. Der Vorsitzende der Vereinigung, Carmelo Finocchiaro, warf der Regierung vor, sie habe «in diesen Monaten nur neue Steuern und sonst nichts eingeführt». Italiens Steuerbehörden würden nicht zwischen Steuerhinterziehern und denen unterscheiden, die aus wirtschaftlichen Gründen in Zahlungsrückstand geraten sind. (sda)

Kein Wachstum

Mario Monti rechnet, dass es bis 2013 kein Wirtschaftswachstum in seinem Land geben wird. «Mit internem Wirtschaftswachstum können wir erst 2013 rechnen», sagte Monti bei der Vorstellung eines Dokuments für die Wirtschaft- und Finanzplanung.

Der Premier erklärte, die Sorge um die Beschäftigung sei ein Problem, das direkt oder indirekt fast die Hälfte der italienischen Familien belaste.

Italien habe zwar Massnahmen zur Eindämmung der Staatsschuld ergriffen, das Land habe jedoch noch viel Arbeit vor sich. «Die Krise, die wir seit 2008 erleben, kann eine tiefgreifende Auswirkung auf Italiens Wachstumspotenzial haben», erklärte der Premier, der seit November an der Spitze eines Fachleutekabinetts steht. (sda)

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