So fühlt sich ein Staatsbankrott an

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UngarnSo fühlt sich ein Staatsbankrott an

Das einstige Vorzeigeland unter den Oststaaten Europas kämpft mit massiven Problemen. Man liest von Haushaltsdefizit, Währungsabwertung und Staatsbankrott. Doch was bedeutet das für die Ungarn? Ein Erlebnisbericht aus Budapest.

Zoltán Tamássy
von
Zoltán Tamássy

Ein halber Meter Schnee liegt auf Budapests Strassen. Doch selbst in der Hauptstadt fehlt das Geld für die Schneeräumung. «Dann bleibe ich halt zu Hause», die Menschen in Ungarn sind sich Kummer gewohnt.

Ansonsten ist die Krise in der Öffentlichkeit kaum zu spüren. Der Alltag auf den Strassen folgt seinem gewohnten, hektisch-bunten Lauf. Erst im vertraulichen Gespräch öffnen sich die Seelen. Dann dringen facettenreiche Ängste ans Tageslicht. Manchen plagen handfeste Existenzsorgen. Andere bangen um den gewohnten Luxus.

Luxusprobleme versus Existenzängste

Ein Immobilienentwickler wähnt seine Firma vor dem Untergang. Aber seinen grossen, schwarzen Audi will er nicht verkaufen, auf die Skiferien in Österreich nicht verzichten. Auch ein Restaurantbesitzer ist besorgt – die Kundschaft bleibt aus. Er fürchtet, dass er sich das Segelschiff auf dem Plattensee nicht mehr leisten kann. Die eben entlassenen Kellner haben natürlich ganz andere Sorgen.

Kurz vor dem Bankrott steht Ungarn jedoch noch nicht. Weder der Staat, noch die Gesellschaft. Das Land steckt aber in einer heftigen Krise. Zu leichtsinnig hat die Regierung in den vergangenen Jahren Haushaltsgelder ausgegeben. Inzwischen haben der Internationale Währungsfonds, die Europäische Union und die Weltbank den politisch arg zerstrittenen Ungaren mit milliardenschweren Krediten unter die Arme gegriffen.

Verhängnisvolles Konsumieren mit Franken-Krediten

Auch privat waren die Magyaren zu leichtsinnig: Um den hohen Forint-Zinsen zu entgehen, haben sie Konsum- und Hypothekenkredite vielfach in Euro oder Schweizer Franken aufgenommen. Das ging gut, solange die Wirtschaft rund lief. Mit der internationalen Finanzkrise haben die ausländischen Investoren nun aber viel Kapital abgezogen. Das riesige staatliche Haushaltsloch liess Anlagen in Ungarn plötzlich zu unsicher erscheinen. Mit fatalen Folgen für viele Konsumenten und Häuslebauer: Die ungarische Währung verlor gegenüber Euro und Franken dramatisch an Wert. Und somit kletterten für viele die monatlichen Zinsen für ihre Euro- und Frankenkredite ins Unerschwingliche.

Da ist zum Beispiel der Student, der mit einem Fremdwährungskredit seine von der Oma geerbte Wohnung umbauen liess. Heute kann er die Zinsen nicht mehr zahlen. Die Wohnung verkaufen geht aber auch nicht. Er würde nur noch ein Butterbrot dafür kriegen. Wie es weitergehen soll, weiss er nicht. Der Student nimmt es aber einigermassen gelassen: «Viel schlimmer ist die Lage für die vielen Familien mit kleinen Kindern, deren Ernährer wegen der Krise den Job verloren haben.»

Geld vorübergehend in der Matratze

Ein Maurermeister erzählt, dass seine über 70 Jahre alte Mutter in Panik ihr ganzes Erspartes unter der Matratze versteckte – bis zum Ausbruch der Krise war es auf einem Bankkonto und in ungarischen Staatsanleihen angelegt. «Es ist nicht viel, aber die Frucht eines langen, entbehrungsreichen Lebens», erklärt der Maurermeister. Nun sei das Geld wieder auf der Bank, weil «Anyuka» – wie er seine Mutter liebevoll nennt – Angst vor Einbrechern hatte. Bereits liebäugle sie aber wieder mit der Matratzenlösung. «Immerhin…», fügt der Maurermeister mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, «wenn das alle so machen, verdienen die Banken jedes Mal daran. Und dann gehen sie ganz sicher nicht Pleite!». Er selber spürt die Krise kaum: «Auf vielen grossen Baustellen wurden die Arbeiten stillgelegt. Aber Kleinkram wie ein Badezimmerumbau ist auch jetzt noch sehr gefragt. Noch!»

Dem Maurermeister zuzuhören, tut gut. Mit seinem kunstvoll gezwirbelten Schnauz und seiner Art das Leben zu nehmen ist er das Paradebeispiel eines Klischeeungaren. Die Magyaren neigen zwar zur Schwermut, bleiben aber auch in der grössten Not immer sehr optimistisch. Zumindest gemäss Klischee.

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