Mr. DAXWie Dirk Müller zum Gesicht der Krise wurde
Die Bilder von ihm gingen um die Welt: Aktienhändler Dirk Müller wurde unfreiwillig zum Gesicht der herrschenden Finanzkrise. Im Interview mit 20 Minuten Online sagt Müller, was man mit seinem Geld machen soll, wie es an der Börse weitergeht und warum er sogar in Grindelwald erkannt wird.
Er ist das Gesicht der Krise. Immer wieder wurde Aktienhändler Dirk Müller fotografiert, weil sein Arbeitsplatz an der Frankfurter Börse so lag, dass im Hintergrund die grosse Anzeigetafel des deutschen Leitindex DAX zu sehen war. So wurde Müllers Gesicht zur Metapher für fallende Kurse. Dirk Müller ist aber auch ein Anwalt der Kleinanleger. Er hat bereits im Frühsommer 2007 vor der Krise gewarnt - der DAX stand damals bei rund 8000 Punkten, heute dümpelt er bei deutlich unter 5000 Punkten.
20 Minuten Online: Wie kam es dazu, dass Sie zum «Gesicht der Börse» wurden?
Dirk Müller: Mein Arbeitsplatz lag fast zehn Jahre lang direkt unter der grossen Anzeigetafel mit dem DAX-Chart. Den Fotografen war die Kurve alleine zu langweilig und da wollten sie eben immer noch ein Gesicht dazu haben. Meins. Als dann in immer mehr Zeitungen und TV-Einblendungen immer das gleiche Gesicht, wenn auch immer in anderer Gemütslage, zu sehen war, kamen die ersten Fragen: Wer ist das? Mit der Zeit erkannte man, dass das «Gesicht der Börse» auch eine Meinung hat, die nicht immer mit dem Mainstream übereinstimmte.
Das hat dann zur Bezeichnung Mr. DAX geführt?
Ja, irgendwann tauchte in den Medien plötzlich die Titulierung «Mister DAX» auf. Die Leute sprachen mich auf der Strasse an.
Der Werdegang
Wie sind Sie überhaupt an der Börse gelandet?
Alles begann Ende der 80er Jahre, während ich mich eigentlich auf das Abitur vorbereiten sollte. Den ursprünglichen Auslöser kann ich gar nicht mehr genau benennen. Entweder war es die faszinierende Berichterstattung in der Telebörse oder die tollen Mädels im Film «Wall Street». Die Schulpausen nutzte ich damals, um zum Kiosk zu rennen und die neueste Ausgabe vom «Handelsblatt» zu erwerben oder bei der örtlichen Sparkasse eine «dringende Börsenorder» über 200 DM zu platzieren. Nach dem Abi bewarb ich mich bei der Aktienabteilung der Deutschen Bank in Mannheim. Ich hatte Glück und wurde genommen. Später nahm mich ein erfahrener Kollege zur Seite und bot mir den Job als Assistent bei einem befreundeten Börsenhändler an. Ich hätte sogar Geld bezahlt, um diesen Job machen zu dürfen. Jetzt war ich endlich an der Börse.
Der Medienmensch
Wie fühlt man sich eigentlich «Spiegel der Weltwirtschaft»?
So habe ich mich nie gesehen. Eine ehrliche Personalisierung des Börsengeschehens ist aber für die Leute wichtig. So lässt sich das Geschehene ganz einfach besser nachvollziehen.
Wünschen Sie manchmal, Sie hätten einen anderen Platz gehabt und man hätte nicht Sie fotografiert?
Eigentlich nicht, der Austausch mit anderen Maklern und den Medien hat mir immer Spass gemacht. Weil ich immer offen informierte, bekomme ich heute viele Mails von Leuten, die sich dafür bedanken, dass ich ihr Geld «gerettet» habe. So habe ich beispielsweise schon im letzten Sommer von einem Kollaps der isländischen Banken gewarnt. Wenn ich damit jemandem seine Altersvorsoge retten kann, bin ich glücklich.
Wenn man wie Sie in den Medien steht, so ist da doch auch ein bisschen Eitelkeit auch dabei?
Da haben Sie Recht. Allerdings war das nur am Anfang so, heute ist die Medienarbeit Alltag.
Der Star
Wie sind die Reaktionen im Alltag auf der Strasse? Werden Sie erkannt?
Mittlerweile werde ich täglich erkannt und angesprochen, das ist Routine geworden. Sogar in meinen Urlaub in Grindelwald wurde ich angesprochen. Die Reaktionen sind ausnahmslos freundlich und positiv. Viele schätzen meine offenen und ehrlichen Analysen am TV. Das freut mich sehr, denn ich habe immer gesagt: Ehrlichkeit ist wichtig. Das gilt ganz unabhängig davon, ob ich richtig liege oder nicht.
Hatten Sie nie negative Reaktionen?
Bis jetzt nicht. Das liegt wohl daran, dass ich immer vor Fehlentwicklungen an den Märkten gewarnt und immer dagegen gekämpft habe, dass Leute über den Tisch gezogen werden. Ich wollte immer die Interessen der kleinen Anleger verwalten und habe immer neutral informiert.
Der Anwalt der Kleinen
Sind sie so etwas wie der «Anwalt des kleinen Anlegers»?
Ich plädiere dafür, dass jeder Anleger sich informiert und nur in Produkte investiert, die er auch versteht. Wer im Internet einen Toaster kauft, vergleicht die Preise, die Qualität usw. Wer hingegen Geld investieren will, gibt es einfach der Bank und sagt: Macht mal! Das kommt für ihn nicht zwingend gut, weil der Bankberater vor allem die Produkte seiner Bank beachten muss.
Der Anleger sollte also «erwachsen» werden, um richtig zu investieren?
Wichtig ist, dass der Anleger sich nicht nur auf Profis, sondern auch und vor allem auf seine Erfahrung und seinen gesunden Menschenverstand verlässt. Dazu gehört eine ständige Weiterbildung. Man soll mit einfachen Produkten beginnen und muss die Risiken kennen.
Der Ursachenforscher
Sind oder waren nicht genau die komplizierten Produkte und das Unterschätzen der Risiken Ursachen der momentanen Krise?
Selbst Profis wollten die Risiken nicht mehr sehen und investierten in Produkte, die sie nicht verstanden. Aber ehrlich: Um gewisse Produkte zu verstehen, müsste man schon 100 Seiten lesen, um genau zu wissen, was da gespielt wird. Das Hauptproblem ist aber ein anderes: Die extreme Verschuldung auf der ganzen Welt – seien es Staaten, Unternehmen oder Private.
Das Leben auf Kosten unserer Kinder, also?
Genau, nur müssen wir nun früher als erwartet die Zeche zahlen. Wir versuchen nun, die ganzen Rechnungen mit neuen Schulden zu begleichen. Es sieht im Moment aber eher danach aus, dass die Rechnungen jetzt eingetrieben werden.
Sie haben den Einbruch der Märkte bereits 2007 vorausgesehen. Sind Sie ein Prophet?
Nein, ganz sicher nicht. Ich war mir schon länger sicher, dass das ganze System hochgehen wird. Die Frage war nur wann. So wartete ich also auf die ersten Anzeichen. Und diese sah ich im Frühsommer 2007, als die ersten Meldungen über faule US-Hypothekarkredite die Runde machten. Da war für mich klar: Jetzt geht es los. Das habe ich auch im TV so gesagt und geraten, sofort alles zu verkaufen. Man hat mich damals nicht wirklich ernst genommen und mich auch belächelt.
Haben Sie selbst Geld verloren?
Nein, ich habe damals alle meine Aktien und Fonds verkauft.
Der Anlageberater
In Ihren neuen Buch «C(r)ashkurs – Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance» geben Sie eine Anleitung, wie man in der jetzigen Krise das beste aus seinem Geld machen kann. Also: Wie werde ich reich? Was muss ich jetzt tun?
Im Moment sollte man überhaupt kein Risiko eingehen, also nicht in Aktien und ähnliches investieren. Ziel muss sein, das Geld möglichst sicher zu halten. Das tun Banken und Hedge Funds im Moment auch; beide meiden Aktien, Rohstoffe etc. wie der Teufel das Weihwasser. Wenn die Profis da nicht investieren, sollte es niemand tun.
Was ist das wichtigste im Moment?
Eines darf man unter keinen Umständen vergessen: Wir haben den Tiefpunkt noch nicht erreicht. Die Märkte werden noch weiter in die Tiefe gehen und das wird sich nicht so schnell ändern. Aber sicher ist auch: Nach dem Durchschreiten der Talsohle wird es wieder lange aufwärts gehen.
Wer jetzt bereits über ein Investment nachdenkt, muss folgendes beachten: Es ist durchaus möglich, dass sich der Aktienwert noch halbiert. Dann muss ich zuerst wieder verdoppeln, um quasi wieder bei Null zu sein. Wenn ich wieder bei Null bin, haben die anderen bereits verdoppelt. Das ist bitter. Deswegen gilt: Lieber ein halbes Jahr zu spät als zu früh kaufen.