«Der nächste Crash wird viel schlimmer»

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«Dirk of the Dax»«Der nächste Crash wird viel schlimmer»

Dirk Müller ist der Popstar unter den Börsenhändlern. Im Interview mit 20 Minuten Online warnt er: Die aktuelle Lage entspricht jener unmittelbar vor dem Kollaps der Bank Lehman Brothers.

S. Spaeth
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S. Spaeth

Die Finanzkrise machte Sie zum Star. Ihr Gesicht war überall präsent. Jetzt bahnt sich der nächste Crash an, und Sie sind nicht mehr ständig in der Öffentlichkeit. Sind Sie ein gealterter Popstar?

Dirk Müller: Ich hoffe nicht (lacht). Meine Schwerpunkte haben sich verändert. Wenn ich heute in der Öffentlichkeit präsent bin, geht es um Inhalte: In Talkshows ist meine Meinung gefragt oder ich trete als Experte in Zeitungen auf. Früher, als ich Händler auf dem Frankfurter Parkett war und vor der Dax-Tafel sass, interessierten sich die Fotografen vor allem für mein verzweifeltes Gesicht, wenn der Index wieder mal richtig abschmierte.

Warum haben Sie das Börsenparkett verlassen?

Es war eine fast logische Konsequenz. Das Geschäft an der Börse hat sich stark verändert. Als ich vor rund zwanzig Jahren anfing, haben noch Menschen mit Menschen verhandelt. Heute hingegen versuchen Computer einander über den Tisch zu ziehen. Das entsprach nicht mehr meinen Idealen. Zwar bin ich teilweise noch immer Händler, mehr Zeit verbringe ich aber sozusagen als Dolmetscher und versuche zu erklären, was an den Märkten passiert.

Sie haben nun auch einen Anlageratgeber geschrieben. Weshalb? Es gibt doch längst genug Literatur zu diesem Thema.

Klar gibt es bereits vieles. Im Unterschied zu anderen Ratgebern geht mein Buch aber auf die aktuelle Situation an den Märkten ein. Wegen der Schuldenkrise hat sich alles verändert. Zudem zeige ich meine persönliche Börsenstrategie auf. Eine weitere Motivation: Leute kamen zu mir und sagten ‹Mensch Müller, ich vertraue auf den Finanzmärkten niemandem mehr. Mich interessiert deine Wahrheit›.»

In Ihrem Buch zitieren Sie Henry Ford: «Wenn die Menschen unser Geldsystem verstehen würden, hätten wir die Revolution noch morgen früh.» Ist das System so ungerecht?

Ja, es ist ungerecht und mit grossen Fehlern behaftet. Diese nützen wenigen, doch viele müssen dafür bluten. Die Krisen folgen sich in immer kürzeren Abständen. Ein Beispiel für Ungerechtigkeit: Wer in Deutschland arbeitet, muss die Hälfte seines Lohns versteuern, Kapitaleinkommen werden hingegen nur mit 25 Prozent versteuert. Ich will nicht grundsätzlich unsere soziale Marktwirtschaft in Frage stellen, doch beide Begriffe müssten gleich gross geschrieben werden.

Unter den Börsianern sind sie wohl der einsame Rufer in der Wüste?

Es gibt unter den Händlern viele mit ethischen Ansprüchen. Das Problem ist aber, dass sie teilweise mit den Interessen der Arbeitgeber kollidieren. Ich halte mich hingegen an die hanseatische Kaufmannsehre, die mir schon meine Lehrer beigebracht haben. Demnach müsste es möglich sein, auch in der Finanzwelt mit Anstand und Ehre Geld zu verdienen.

Vor drei Jahren brach die Bank Lehman Brothers zusammen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich haben den Finanztsunami kommen sehen und davor gewarnt, worauf mich viele als Schwarzmaler bezeichneten. Als erste US-Immobilienfonds dicht machten, war für mich klar, dass es zu flüchten gilt. Beim Lehman-Kollaps im September 2008 hatte ich keine Risikopositionen mehr. Ich war nur noch in Festgeld und Edelmetalle investiert.

Sehen Sie Parallelen zwischen den Wochen vor der Lehman-Pleite und der aktuellen Zeit?

Wir sind in der Situation wie vor dem Lehman Crash. Das Misstrauen unter den Banken ist enorm gestiegen. Man bringt das Geld über Nacht lieber zur Europäischen Zentralbank, als es einer Geschäftsbank auszuleihen. IWF-Chefin Christine Lagarde hat nicht zum Spass vor unterkapitalisierten europäischen Banken gewarnt.

Wie weit sind wir noch vom Kollaps entfernt?

Es ist fünf vor zwölf – und dieser Crash wird schlimmer als jener vor drei Jahren. Nach der Finanzkrise haben die Regierungen als Stabilisierungsmassnahmen 33 Billionen Dollar ins System gepumpt. Das hat zu einer Scheinblüte geführt, die bald vorüber ist. Diesmal werden die Staaten nicht mehr zu Hilfe eilen können.

In einem Ihrer Kommentare sprechen sie davon, dass unsere Nationalbank nun den ganzen Euro-Kram aufkaufen müsse. Halten Sie so wenig vom Euro?

Ich habe wenig Vertrauen in die Gemeinschaftswährung. Eine Währungsunion ohne politische Union kann nicht funktionieren. Folglich ist es ein riskanter Ritt, den die Jungs der Schweizerischen Nationalbank unternommen haben. Eventuell sitzen sie bald auf einem Berg von wertlosen Euros.

Wird es den Euro in fünf Jahren noch geben?

Ich befürchte, dass er in der jetztigen Form nicht mehr existiert. Womöglich haben wir noch einen Kerneuro in den finanzstarken Ländern.

Was macht der Mr. Dax, wenn er keine Börsencharts analysiert?

Dann habe ich einen Spaten in der Hand und grabe zusammen mit anderen Interessierten in der Region Heidelberg eine Burg aus dem zwölften Jahrhundert aus.

«Dirk of the Dax»

Dirk Mülller (42) wurde während der Finanzkrise zum Popstar unter den Börsenhändlern. Weil sich sein Arbeitsplatz genau unterhalb der Dax-Kurstafel befand, bezeichneten ihn die Medien als «Mr. Dax». Müllers zu Kursstürzen passendes Antlitz zierte die Zeitungen und Onlinemedien aller Welt. Vor zweieinhalb Jahren kehrte «Drik of the Dax» dem Börsenparkett den Rücken und ist seither als selbständiger Händler und Börsenexperte tätig. Der Deutsche betreibt den Blog cashkurs.com, schreibt Börsenbriefe und hat soeben sein zweites Buch veröffentlicht.

Cashkurs – Müllers neustes Buch

Müllers neustes Werk trägt den Titel «Cashkurs – So machen Sie das Beste aus Ihrem Geld» erscheint am 12. September im Droemer Verlag. In «Cashkurs» erklärt der 42-Jährige einfach und unterhaltsam, was Jede und Jeder über Geld und Finanzprodukte wissen sollte. Dabei nimmt Müller kein Blatt vor dem Mund und deckt auf, wo Banken und Berater versuchen, Kasse zu machen. Müllers Buch beginnt beim Basiswissen für Einsteiger und baut auf bis zu Finanzplanungstipps für Profis. Müllers Erstling «Crashkurs. Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance?», war 2008 in Deutschland das meistverkaufte Wirtschaftsbuch.

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