EU-Haushaltskrise«Die Deutschen arbeiten zu viel und zu billig»
Weshalb die Südeuropäer im Schlamassel stecken und wieso die Einführung eines «Super-Euro» die Rettung vor einem wirtschaftlichen Niedergang ist.

Von Griechenland ausgelöste EU-Haushaltskrise: «Es sitzen alle in der Falle».
Die Europäische Union ist eine Zweiklassengesellschaft. Hier die reichen Staaten Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Dänemark, dort die schwachen Länder Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, auch PIIGS genannt. In den PIIGS-Staaten arbeitet man weniger, geht früher in Rente, und kauft sich mit von Deutschland geliehenen Euros deutsche Autos. Mit der Folge, dass man – statt den Rückstand aufzuholen – immer weniger wettbewerbsfähig wird.
Nach dem Griechenland-Debakel werden nun nicht nur die «Faulen» mit Kritik überhäuft. Auch die fleissigen und sparsamen Deutschen müssen sich anhören, sie seien mitschuldig am Schlamassel. Die «Financial Times» schreibt, der deutsche Aussenhandelsüberschuss sei «für die Nachbarstaaten in der Eurozone nicht tragbar». Der deutsche Ökonom Gustav Horn meint, Deutschland habe mit Billiglöhnen «jahrelang strukturelle Überschüsse angehäuft», diesen Überschüssen stünden Defizite in anderen Ländern gegenüber, und «irgendwann kommen diese Länder an ihre Grenzen». Der Vorwurf im Klartext: die Deutschen arbeiten zu viel und zu billig für den Rest Europas.
Arbeiten die Deutschen zu viel?
«Katastophal» findet das Rolf Weder, Professor für Ökonomie und europäische Integration an der Universität Basel. Dass andere ihre Kosten erhöhen sollen, damit man selber wettbewerbsfähiger werde, sei absurd. Die schwachen Länder würden sich dadurch selber schaden, zudem würde Deutschland seine eigene Wirtschaft schwächen, wenn es sich weniger reformieren würde. Der tiefere Konsum und die sinkenden Importe in Deutschland würden sich wiederum auf die anderen Länder auswirken. Im Gegenteil: Je produktiver die Deutschen seien und je mehr sie sparten, desto besser für die anderen EU-Mitglieder, denn diese profitierten von billigeren Importen aus und höheren Exporten nach Deutschland, so der Ökonom weiter. Zudem profitierten sie über Ersparnisse, die die Deutschen im Rest Europas investierten, glaubt Weder.
«Staatsschulden werden nicht zurückbezahlt»
In dieselbe Kerbe schlägt Dieter Ruloff, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Zürich. Die Forderung gleiche dem Neid des faulen Schülers auf den Klassenstreber. Gerade Griechenland müsse die Schuld bei sich selbst suchen, der Staat habe «in unverantwortlichster Weise eine Ausgabenpolitik betrieben».
Aus der Geschichte wisse man ausserdem, dass Finanzierungsspritzen an überschuldete Staaten nicht zurückbezahlt würden: «Allfällige Zahlungen der EU an Griechenland werden lediglich als Kredit getarnt, um Unruhe zu vermeiden.» Jedoch sei nun auch eine rigorose Sparpolitik in Ländern wie Griechenland kontraproduktiv, denn dies würde die Nachfrage einbrechen lassen und die Staatsverschuldung noch höher treiben. «Es sitzen alle in der Falle», schliesst Ruloff.
Ausstieg aus Währungsunion kein Ausweg
Die Experten orten die Schuld für den Schlamassel bei der EU selbst. Beim Beitritt zum Euro seien die Währungen der schwachen Staaten wie Griechenland zu hoch bewertet worden, sagt Ökonom Weder.
Als Ausweg aus der Schuldenkrise bietet sich also die Wiedereinführung von flexiblen Wechselkursen an. Mit der Abwertung der eigenen Währung könnten die schwachen Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit teilweise wieder erlangen. Dass die Schmach eines Ausstiegs aus dem Euro jedoch nicht nur aus politischen Gründen keine Lösung ist, bringt Ruloff auf den Punkt: «Nur schon die Aussicht auf einen Euro-Ausstieg hätte in Griechenland einen Run auf die Banken und eine Kapitalflucht ins Ausland zur Folge». Das heisst: Die Griechen würden das Ersparte sofort ins Ausland transferieren, bevor ihre Euros vom Staat zwangsweise wieder in Drachmen zurücgetauscht würden.
«Eher müsste Deutschland aus der Währungsunion austreten und mit anderen starken Staaten einen «Super-Euro» einführen», so Ruloff weiter. Die EU steht also vor einer Zerreissprobe.