ETH-Energiestudie«Als hätten wir noch Telefone mit Wählscheibe»
Die vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse gesponserte ETH-Studie zur Energiewende in der Schweiz wirft hohe Wellen. Sie tauge nichts und zeichne ein falsches Bild, sagen Kritiker.

Zankapfel Atomkraftwerke: Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse kritisiert die Energiestrategie 2050 des Bundesrates als «unsolide und volkswirtschaftlich gefährlich».
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse zeichnet ein düsteres Szenario und behauptet: Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen der bundesrätlichen Energiestrategie 2050 seien gravierender als bisher angenommen: «Bleiben heute noch unbekannte Technologiesprünge aus, drohen der Schweiz je nach Szenario Einbussen von bis zu 25 Prozent des realen Bruttoinlandprodukts (BIP).»
Zu diesem Schluss kommt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie, die Economiesuisse bei Professor Peter Egger von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich in Auftrag gegeben hat.
Just nach der Veröffentlichung der Studie äusserten sich mehrere Parlamentarier kritisch über das Ergebnis der Studie. SP-Nationalrat Roger Nordmann reagiert als erster und twitterte an die Adresse des Wirtschaftsdachverbands: «Um eine propagandistische Schlagzeile zu lesen brauche ich nicht drei Tage.» Die Zürcher Nationalrätin Jacqueline Badran (SP) fragte: «Wie wäre es mit Innovation, Versorgungseffizienz, Chancen nutzen?»
Und die Naturschutzorganisation WWF publizierte umgehend eine Stellungnahme auf ihrer Homepage und kommentierte: «Die Studie nimmt Preise und Technik von vor 13 Jahren und geht davon aus, dass sich beides während 50 Jahren nicht verändert. Als hätten wir heute noch Telefone mit Wählscheibe.»
Studie blendet den technologischen Fortschritt aus
Es ist grobes Geschütz, das die Economiesuisse zusammen mit der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich auffährt und sie eckt an damit. Ein kurzer Blick in die Wirtschaftsdaten, rückt die Studie denn auch in ein schräges Licht.
So erstaunt es, auf welches Datenmaterial sich die Studie stützt: Als Ausgangspunkt wählte Professor Egger das Jahr 2000, als der Preis pro Barrel Öl der Sorte Brent bei 25 Dollar notierte und die Kilowattsunde Solarstrom noch 1,20 Franken kostete. Kurz: Es waren andere Zeiten.
Fakt ist: Heute hat sich der Ölpreis fast verfünffacht, ebenso ist der Preis für Gas gestiegen. Jahr für Jahr fliessen deshalb rund 10 Milliarden Franken für Öl und Gas ins Ausland. Im Vergleich dazu kostet die Kilowattstunde Solarstrom heute noch knapp 20 Rappen.
Darüber hinaus blendet die Studie den technologischen Fortschritt in Energiegewinnung- und Versorgung der letzten 13 Jahre komplett aus: «Wir sprechen hier vom Solar-Boom oder der Windenergie, just jenen Branchen, die sich mit grossen Schritten weiterentwickelt haben», sagt Patrick Hofstetter, Leiter Abteilung Klima und Energie bei WWF, im Gespräch mit 20 Minuten Online.
«Schlicht gelogen»
Es seien keine besseren Daten erhältlich gewesen, antwortete der Professor an der Medienkonferenz einsilbig auf die Frage, weshalb er das Jahr 2000 als Grundlage für die Studie gewählt habe. Eine Aussage, die Aeneas Wanner, Geschäftsleiter Energie Zukunft Schweiz, in Wallung bringt: «Ich bin von der ETH schwer enttäuscht. Es ist ein Skandal!»
Die ETH spiele mit den «viel zu hohen Zahlen» einmal mehr der Atomlobby in die Hände, kritisiert Wanner: «Dass die Schweiz mit Einbussen von 25 Prozent des realen BIP rechnen muss, wenn sie die Energiestrategie 2050 des Bundes verfolgt, ist schlicht gelogen.»
Der Energieexperte glaubt nicht, dass kein aktuelleres Datenmaterial zur Verfügung gestanden haben soll: Gerade bei der Energie seien Daten über Börsenpreise einfach zugänglich. Wanner wird den Eindruck nicht los, dass die ETH bewusst Daten aus dem Jahr 2000 gewählt hat.
Millionen von der Atomlobby
Wanners harsche Kritik teilt auch Rudolf Rechsteiner, Alt-Nationalrat (SP) und Dozent für Umwelt- und Energiepolitik an verschiedenen Hochschulen. Der Basler ist ein dezidierter Verfechter erneuerbarer Energien und hat die Energie-Debatte in den letzten Jahrzehnten geprägt.
Er sagt ohne Umschweife: «Der Zweck der Studie besteht offenbar darin, die erneuerbaren Energien zu diskreditieren.»
Für Rechsteiner ist klar: «Economiesuisse erhält von der Atomlobby Millionen, um saubere Energien zu verhindern. Dafür ist ihnen offenbar jedes Mittel recht.» Schleierhaft ist für den Alt-Nationalrat zudem die Behauptung, dass überhaupt ein volkswirtschaftlicher Schaden entstehen könnte, wenn sich die Energiestrategie des Bundesrates durchsetzen sollte.
In der Praxis gelte genau das Gegenteil: «Wenn wir Erdöl, Gas und Atomstrom durch einheimische erneuerbare Energien ersetzen, sinken die Unfall- und Kostenrisiken der Konsumenten und es entstehen neue Arbeitsplätze in der Schweiz», erklärt Rechsteiner.
«Diese Forschung ist Standard»
Professor Egger von der ETH wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe mit falschen Zahlen operiert. Er behauptet: Bis dato gebe es keine aktuelleren Daten für alle OECD-Staaten zur detaillierten Beschreibung des Güterkreislaufes einer Volkswirtschaft. Egger hält an der Studie fest und erachtet sie als sinnvoll, wenn sie richtig gelesen und nicht als Prognose verstanden werde.
Die Einbusse «von bis zu 25 Prozent des Bruttoinlandprodukts», wie sie die Economiesuisse für die Schweiz befürchtet, ist denn auch nicht für bare Münze zu nehmen. Die Studie geht nämlich von verschiedenen Szenarien aus, in denen der negative Einfluss des BIP von -1,3 Prozent bis -23,5 Prozent reicht.
Das Bundesamt für Energie (BFE) wollte sich zur Studie auf Anfrage von 20 Minuten Online nicht äussern.
Energiestrategie 2050
Ausbau der Wasserkraft und der neuen erneuerbaren Energien sowie wenn nötig auf fossile Stromproduktion (Wärmekraftkopplungsanlagen, Gaskombikraftwerke) und Importe. Zudem sollen die Stromnetze rasch ausgebaut und die Energieforschung verstärkt werden. (sza)