Konsumverzicht«Ohne Geld funktioniert das Leben viel besser»
Der Autor Raphael Fellmer lebte mit seiner Familie fünf Jahre im Geldstreik. Warum er inzwischen wieder Geld nutzt, und was er vom bedingungslosen Grundeinkommen hält.
Herr Fellmer, warum sind Sie für fünf Jahre in den Geldstreik getreten?
Mir ging es darum, zu zeigen, dass es in unserer Überflussgesellschaft tatsächlich möglich ist, allein von dem zu leben, was andere Menschen nicht mehr brauchen beziehungsweise als Abfall bezeichnen. Ich wollte damit zeigen, dass die Menschen in den Industrieländern einen zu grossen ökologischen Fussabdruck haben. Wenn alle Erdenbewohner so leben würden, bräuchten wir drei weitere Planeten.
So ein Leben scheint enorm anstrengend, vor allem mit zwei Kindern. Gingen Sie betteln?
Ich habe weder um Geld noch um Sachspenden oder Dienstleistungen gebettelt. Ich habe um Dinge gefragt, die nicht mehr gebraucht werden. Zum Beispiel bin ich zum Bäcker oder Fahrradladen gegangen und habe gefragt, ob es Brot oder einen alten Fahrradschlauch gibt, die sonst weggeschmissen würden. Es war eine Win-win-Situation.
Wie das?
Weil es alle Beteiligten glücklicher machte: Der Bäcker hat nicht nur Lebensmittel, die er wegschmeissen muss, sondern damit auch ein ethisches Problem. Ich biete ihm eine Lösung an, die ihn und mich glücklicher macht.
So ging das auch mit Kleidern und Wohnung?
Genau, es gibt elf Millionen leerstehende Immobilien in Europa. Und ich habe geholfen, ungenutzten Wohnraum zu nutzen. Jährlich werden zudem allein in Deutschland eine Million Tonnen Textilien weggeschmissen – der Überfluss unser Wegwerfkultur ist praktisch in allen Haushalten allgegenwärtig.
Was hat Sie in der geldfreien Zeit am meisten geprägt?
Die Schönheit der Verbundenheit, die sich durch das geldfreie Leben automatisch zwischen mir und den anderen ergab. Denn Geld macht unabhängig, macht Menschen aber oft auch einsam. Das bedingungslose Teilen der anderen mit mir dagegen schuf Beziehungen. Und ich wurde dadurch noch achtsamer und respektvoller im Umgang mit meinen Mitmenschen. Ich lernte bescheiden und dankbar zu sein für Familie, Freunde, Gesundheit und das Privileg, das tun zu dürfen, was ich liebe und wofür mein Herz schlägt.
Geld spielt also keine Rolle für Sie. Warum aber halten Sie seit letztem Herbst Ihre Vorträge für ein geldfreies Leben wieder gegen Geld?
Weil wir als Familie eine feste Wohnung brauchten und nicht mehr so viel hin und her ziehen wollten. Ausserdem wollte ich zeigen, dass es keinen Geldstreik bedarf, um die Maxime «Weniger ist Mehr» leben zu können.
Sie haben gemerkt, dass Geld für Sicherheit und Planbarkeit sorgt, nämlich für eine feste Wohnung.
Das stimmt. Aber nur zum Teil. Denn Geld kann eben auch Ineffizienz und damit Unsicherheit schaffen. Wird es für Besitz oder Profitmaximierung eingesetzt, und das ist bei unserem Zinsgeld der Fall, dann sorgt es meist für Verschwendung.
Wie meinen Sie das?
Wer zum Beispiel ein Auto besitzt, braucht es im Schnitt nur ein, zwei Stunden am Tag. Mehr als 22 Stunden steht es täglich aber nutzlos herum. Das ist Verschwendung. Was wir aber wirklich brauchen, ist nicht der Besitz eines Autos, sondern der Zugang zu einem.
Das ist das Anliegen der Sharing Economy. Die funktioniert jedoch mit Geld.
Das ist auch ihr Fehler: Die Leute wollen aus ihrem Auto oder ihrer Wohnung mit AirBnB oder einem Carsharing möglichst viel Geld machen. Das ist eine Kapitalisierung von Bereichen unseres Leben die bisher geldfrei respektive ohne Profite für eine Drittfirma stattfanden. Mir geht es aber ums bedingungslose Teilen. Ums Teilen um der Sache, der Effizienz willen.
Wie stehen Sie zum bedingungslosen Grundeinkommen, über das in der Schweiz im Juni abgestimmt wird?
Ich bin dafür, denn das ist ein Sprungbrett zu einer geldfreieren Welt. Auch wenn alle erst mal Geld bekommen und nicht täglich drei Brötchen und eine WC-Papierrolle, wie Grundsicherheit auch verstanden werden kann. Es geht um ein neues Prinzip, um eine Grundsicherheit, die die Menschen zunächst durch bedingungsloses Geld erfahren können, um einer Tätigkeit nachzugehen, die sie lieben.
Und was ist dann der Anreiz zur Arbeit?
Ich selbst habe ja gezeigt, dass ich mit Foodsharing auch ohne Geldanreiz gearbeitet und ein Buch geschrieben habe. Und zwar freier und besser als je zuvor. Ohne Geld funktioniert das Leben und die Arbeit aus meiner Erfahrung viel besser, da wir uns aus innerer Motivation einem Thema widmen, uns unserer Berufung zuwenden, statt vom Geld manipuliert zu werden, wie es heute oft der Fall ist. Wir sind jedoch auch mental so stark vom Geld geprägt, dass die meisten sich eine Leben ohne Geldanreiz noch nicht einmal vorstellen können. Deswegen hat mein Leben ohne Geld ja für so ein Aufsehen gesorgt. Mit dem Geldstreik wollte ich genau diesen gesellschaftlichen Diskurs anregen.
Fünf Jahre ohne Geld
Als Raphael Fellmer von Holland nach Mexiko trampte, kam er auf den Geschmack eines Lebens komplett ohne Geld. Das war 2010. Danach schafften der inzwischen 32-Jährige und seine Familie es, fünf Jahre in Deutschland ohne einen Cent auszukommen. Seit Herbst 2015 nimmt Fellmer nun wieder Geld in die Hand, um die Miete für eine feste Wohnung zu zahlen. Sein Beruf: Das Halten von Vorträgen über ein geldlos glückliches Leben.
Fellmer lebt mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern mit zwei weiteren Familien in einem Haus in Süddeutschland. Den Telefonanschluss und so viele anderen Dinge wie möglich teilt er sich. Er ist Mitbegründer des Netzwerkes Foodsharing.de, das in Deutschland, Österreich und auch der Schweiz für die Verwertung von abgelaufenen, aber einwandfreien Lebensmitteln sorgt. ish