«Stellenabbau ist wichtig für Schweizer Wohlstand»

Aktualisiert

Euro-Mindestkurs«Stellenabbau ist wichtig für Schweizer Wohlstand»

Dass Stellen wegen des Frankenschocks gestrichen werden, müsse nicht schlecht sein, sagt Ökonom Reiner Eichenberger. «Reine Schreibtischbetrachtung», kontert Politiker Rudolf Strahm.

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Es sind harte Zeiten für Schweizer Firmen: Seit die Nationalbank vor 16 Monaten den Euro-Franken-Mindestkurs aufgehoben hat, kämpfen viele KMU ums Überleben. Und auch grosse Schweizer Unternehmen verweisen gern auf den hohen Frankenkurs. Nun meldet sich der Volkswirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger zu Wort und findet: Firmen, die nach 16 Monaten noch immer wegen des Mindestkurses jammern, seien selbst schuld.

«Viele Manager versuchen, ihre Fehler dem Schweizer Franken zuzuschreiben», sagt Eichenberger zum «Blick». Seiner Meinung nach müssten sich Unternehmen mit den hohen Kursen abfinden. Diese würden nur die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und ihre Handelsüberschüsse widerspiegeln.

Stellenabbau für Wohlstand wichtig

Und: «Firmen, die die teuren Löhne in der Schweiz nicht mehr zahlen können, tun der Volkswirtschaft einen Gefallen, wenn sie die Stellen ins Ausland verlagern, statt den Staat zu Hilfe zu rufen», erklärt Eichenberger weiter. Die freigesetzten Arbeitskräfte können anschliessend produktiver in Firmen eingesetzt werden, die die Löhne bezahlen können.

Immerhin: Etwas Mitleid zeigt er dann doch – zwar nicht mit den Firmen, dafür aber mit den betroffenen Mitarbeitern. Ein Stellenverlust sei für jeden Betroffenen hart, so Eichenberger. Aber für die Volkswirtschaft insgesamt und den Wohlstand aller sei ein Stellenabbau enorm wichtig.

Mehr Organisation statt Produktion

Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, teilt Eichenbergers Einschätzung grundsätzlich. Der Trend zu einer Verlagerung der Industrie-Arbeitsplätze von der Schweiz ins Ausland sei aber keineswegs neu und habe seine Ursprünge schon in den 80er-Jahren. Der Frankenschock habe diese Entwicklung nur noch verstärkt. «Die Schweizer Volkswirtschaft entwickelt sich von der Produktion hin zur Organisation. Statt in der Fabrik arbeiten die Leute in staatsnahen Sektoren wie der Bildung oder dem Gesundheitswesen», sagt Binswanger zu 20 Minuten.

Bei den grossen Konzernen würden meist die Forschung und die Entwicklung sowie das Marketing und der Vertrieb in der Schweiz bleiben. Binswanger sagt: «Das ist grundsätzlich sinnvoll, denn die Wertschöpfung ist in diesen Bereichen höher als in der Produktion, mit der immer weniger Wertschöpfung erzielt wird.» Allerdings sei der Verlust des Arbeitsplatzes für die in der Industrie tätigen Betroffenen natürlich hart.

«Reine Schreibtischbetrachtung»

Der ehemalige Preisüberwacher und Ökonom Rudolf Strahm hingegen kann der Argumentation von Eichenberger nicht viel abgewinnen: «Das ist eine reine Schreibtischbetrachtung.» Dass es einen Strukturwandel brauche, sei unbestritten. Jetzt werde dieser aber massiv beschleunigt. «Die Produktionsverlagerung führt zu einer unnötigen Desindustrialisierung und zu einem Verlust an Wertschöpfung in der Schweiz», sagt Strahm zu 20 Minuten. Neue Stellen würden zwar geschaffen, aber nicht in der Geschwindigkeit, wie sie zurzeit verloren gingen.

«Was Herr Eichenberger hier erzählt, ist Unsinn», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbunds. «Jeder weiss, dass der Franken viel zu stark ist.» Die Schweiz sei deshalb fast das einzige Land in Europa mit steigender Arbeitslosigkeit. Viele der Arbeitsplätze würden kaum mehr zurückkommen. «Was einmal ausgelagert ist, bleibt in der Regel im Ausland», so Lampart. Darum schützten sich fast alle kleinen, offenen Volkswirtschaften mit Ausnahme der Schweiz gegen Wechselkursausschläge.

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