Anderer Wirtschaftsansatz«Wer kerosinfrei Ferien macht, verliert an Status»
Warum die Leute einen schief anschauen, wenn man zu Hause Ferien macht, erklärt der Wachstumskritiker Niko Paech. Er fordert eine neue Wirtschaftsordnung.
Herr Paech, warum werden Leute, die ihre Ferien zu Hause oder in der Region verbringen, schief angeschaut?
Leute, die ihre Ferien de-globalisiert und damit kerosinfrei verbringen, verlieren schlicht an Aufmerksamkeit und an sozialem Status. Denn wir leben in einer Welt, in der die kulturelle Anschlussfähigkeit nicht nur von Einkommen, Beruf oder zum Vorschein gebrachten Konsumgütern abhängt, sondern vom Globalisierungsgrad der individuellen Lebensführung. Ich muss hinreichend oft im Flugzeug sitzen und Erlebnisse aus aller Welt schildern, sonst gelte ich nicht als wichtig. Es ist heute überdies politisch inkorrekt, für Sesshaftigkeit zu plädieren.
Genau die fordern Sie aber.
Ich fordere nichts, sondern treffe nur eine Wenn-dann-Aussage: Wenn wir es ernst meinen mit Klimaschutz, müssen wir erreichte Mobilitätsstandards aufgeben. Flugreisen verursachen den maximalen Klimaschaden, den ein einzelnes Individuum auf legale Weise erzeugen kann. Ein einziger Interkontinental-Flug verursacht mehrere Tonnen CO2. Bei global gerechter Verteilung der CO2-Emissionen lägen pro Person im Jahr nur zwei bis drei Tonnen drin, wenn das Zwei-Grad-Ziel noch erreicht werden soll. Mobilität richtet den grössten Schaden in unserer individuellen Klimabilanz an.
Sie wollen den Einzelnen möglichst unabhängig machen von Fremdprodukten und Technik. Denn das verbrauche zu viel Energie. Sollen wir zurück ins Mittelalter?
Nein, es geht um ein verantwortbares Mass bei der Inanspruchnahme ökologisch ruinöser Praktiken, so dass die Gesamtbilanz stimmt: Fleisch, Wohnraum, Elektronik und Konsum zu reduzieren, um sich die CO2-Emissionen für eine Flugreise abzusparen, wäre denkbar. So könnte ich mir dann in fünf oder zehn Jahren Ferien in den USA leisten.
Unsere gesamte Wirtschaft ist jedoch auf Wachstum ausgelegt, allein schon um unsere Jobs zu sichern.
Um die Arbeitsplätze trotz steigender Produktivität zu wahren, würde es Wachstum brauchen. Je weniger Arbeit notwendig ist, um einen bestimmten Output zu erzeugen, desto grösser muss folglich der Output sein, damit alle bisherigen Arbeitnehmer im selben Umfang benötigt werden. Auch das Geldsystem erzwingt tendenziell exponentielles Wachstum. Dagegen helfen nur zwei Strategien: Arbeitszeitverkürzung und Versorgungssysteme, die mit weniger Kapitaleinsatz auskommen und am besten ganz vom Geldsystem abgekoppelt sind.
Aber grünes Wachstum kommt doch fast nur mit nachwachsenden Rohstoffen aus?
Es ist eine Chimäre, durch vermeintlich nachhaltige Produkte und Technologien die Ökologie schützen zu wollen, ohne Selbstverwirklichungs- und Gewinnansprüche zu reduzieren. Das ist wie eine Diät, bei der man das Doppelte essen und dabei abnehmen soll. Denn grünes oder qualitatives Wachstum beruht auf Massnahmen, die ebenfalls Stoff- und Energieflüsse benötigen. Zumeist werden die Probleme nur zeitlich oder räumlich verlagert: Setzen Sie mal die landschaftlichen Verwüstungen und Materialverbräuche der deutschen Energiewende ins Verhältnis zur damit tatsächlich erreichten CO2-Einsparung – was soll daran nachhaltig sein?
Ist für Sie die Euro-Krise eine Chance, um über eine neue Wirtschaftsausrichtung zu diskutieren?
Seit der Finanzkrise steigt das Interesse an einer Wirtschaft ohne Wachstum. Griechenland böte die perfekte Chance, eine Postwachstumsökonomie umzusetzen, was dort jedoch auf keine nennenswerte Resonanz stösst: Die überwiegende Mehrheit der griechischen Gesellschaft ist in die Wohlstandsverheissungen einer modernen Konsum- und Industriegesellschaft verstrickt und augenscheinlich noch nicht bereit, den ökonomischen Erwartungshorizont anzupassen. Erste Ansätze einer Regional- und Subsistenzwirtschaft sind vorhanden, aber kein Thema in der dortigen Politik.
Was in Griechenland stattfindet, ist eine aus der Not geborene Selbstversorgung und Tauschwirtschaft.
Genau, reduktive Wirtschaftsformen kommen «by design or by disaster». Leider ist es oft so, dass erst ökonomische Knappheit den Sinn für die Möglichkeiten der Selbst- und Regionalversorgung reaktiviert. Das ist auch in Spanien oder Portugal der Fall. Im Sinn eines Postkollapsszenarios fangen Menschen dort an, mit der Knappheit umzugehen. Etwa durch Regiogeld, Reparaturwerkstätten, Tauschringe oder Urban Gardening.
Ökonom und Glücksforscher
In seinem Buch «Befreiung vom Überfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie» entwirft Niko Paech einen gänzlich anderen Wirtschaftsansatz, der sich am besten in der Grafik am Ende des Buches zeigt: Statt 40 Stunden gegen Geld zu arbeiten, sollte der Einzelne das noch 20 Stunden tun und die restliche Hälfte in die Eigenproduktion von Nahrung, in Handwerk und Erziehung sowie in entschleunigte Lebensstile investieren. Der 54-Jährige lehrt an der Universität Oldenburg und beschäftigt sich unter anderem auch mit dem Geldsystem, das unser Wachstum prägt, sowie mit der Glücksforschung, nämlich der Suche nach dem Mass an Konsum und Einkommen, mit dem das Wohlbefinden tatsächlich gesteigert werden kann. (ish)