DeflationWenn fallende Preise wehtun
Zwölf Monate in Serie mit Minusteuerung: Das gab es seit den Fünfzigerjahren nicht mehr und freut die Konsumenten. Doch sinkende Preise können auch gefährlich werden.

Sinkende Preise: Schön für die Konsumenten, gefährlich für die Wirtschaft.
Seit Oktober 2011 weist die Jahresteuerungsrate in der Schweiz stets ein Minus auf: Das Preisniveau war Monat für Monat tiefer als ein Jahr zuvor. Im Schnitt des ganzen Jahres wird mit einem Rückgang des Preisniveaus um 0,6 Prozent gerechnet.
Um eine ähnlich lange Phase sinkender Preise zu finden, muss man in den Statistiken 58 Jahre zurückblättern. Im April 1954 ging eine 15 Monate lange Phase mit negativer Teuerung zu Ende.
Konsumenten warten auf noch tiefere Preise
Eine solche Phase kann aus drei Gründen gefährlich werden: Erstens werden Anschaffungen und Investitionen in Erwartung noch günstigerer Konditionen aufgeschoben. Das bringt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ins Stocken.
Zweitens verschärfen sinkende Preise die Lage der Schuldner, weil die reale Last ihrer Schulden steigt. Auch dies fördert die Abwärtsspirale. Über die Liquidation von Immobilien und anderen Vermögenswerten zur Rückzahlung von Schulden, über zusätzlich fallende Preise dieser Vermögenswerte, sinkende Gewinne der Unternehmen und Entlassungen.
Kampf gegen Inflation einfacher
Und drittens ist das Stoppen der Deflation schwieriger als der Kampf gegen die Inflation. «Mit hohen Zinssätzen lässt sich jeder Inflation das Genick brechen. Gegen unten hingegen stossen die Zinssätze bei null an eine Grenze», sagte der frühere Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand einmal.
Als abschreckendes Beispiel gelten die 1930er-Jahre, als die Deflation in die Grosse Depression mündete. In der Schweiz sank das Preisniveau zwischen 1929 und 1935 um 36 Prozent. Die Industrieproduktion brach innerhalb von drei Jahren um 21 Prozent ein, und die Arbeitslosenquote stieg von 0,4 Prozent im Jahre 1929 bis Anfang 1936 auf bis zu 20 Prozent.
Noch läuft der Konsum rund
Noch deutet in der Schweiz nichts auf eine solche Abwärtsspirale hin. Der private Konsum ist im Gegenteil nach wie vor eine Konjunkturstütze. Und der von der Nationalbank verteidigte Euro-Mindestkurs hat stärkere Einbrüche im Export und im Tourismus bisher verhindert.
Sollte die Deflationsgefahr steigen, behalten sich die Währungshüter weitere Massnahmen vor. Das hiesse dann wohl Negativzinsen und andere Vorkehrungen gegen den Zufluss von Geldern aus dem Ausland.
Das Problem der «gefühlten» Inflation
«Sinkende Preise - na endlich!» ist die erste Reaktion der Konsumentinnen und Konsumenten. Gefolgt von der Frage: «Aber wo?» Hat nicht der Benzinpreis gerade wieder aufgeschlagen?
Dieses Phänomen nennt man «gefühlte» Inflation. Sie kann stark von der Teuerung abweichen, die das Bundesamt für Statistik (BFS) monatlich mit dem Landesindex der Konsumentenpreise berechnet. Statistikprofessor Hans Wolfgang Brachinger nannte zwei Gründe für diese Differenz:
Erstens wird der Preis eines Gutes, das häufig gekauft wird, viel wichtiger eingestuft als der Preis eines Gutes, das selten gekauft wird. Milch und Käse sind also wichtiger als ein neues Auto oder die Waschmaschine.
Zweitens reagieren die Konsumenten auf steigende Preise viel empfindlicher als auf sinkende. «Wenn Sie morgens an der Tankstelle vorbeifahren, wo Sie immer tanken und der Preis ist gestiegen, so ärgern Sie sich. Ist der Preis gesunken, lässt Sie das ziemlich kalt», erläuterte Brachinger.
Um den Konsumenten ein besseres Bild über die Folgen der Preisentwicklung für ihr persönliches Budget zu ermöglichen, hat das BFS einen individuellen Teuerungsrechner auf seiner Homepage eingerichtet. Damit kann die Preisentwicklung des eigenen Haushalts mit der offiziellen Teuerung verglichen werden. (bb)