Presse kritisiert «einseitigen Prozess»

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Turiner Asbest-UrteilPresse kritisiert «einseitigen Prozess»

Unternehmer Stephan Schmidheiny ist am Montag in Italien zu einer Haftstrafe von 16 Jahren verurteilt worden. Ein Urteil, das in Schweizer Zeitungen durchs Band als zu scharf kritisiert wird.

rme
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Das Gericht folgte im Wesentlichen Staatsanwalt Raffaele Guariniello, der eine Strafe von 20 Jahren Haft gefordert hatte.

Das Gericht folgte im Wesentlichen Staatsanwalt Raffaele Guariniello, der eine Strafe von 20 Jahren Haft gefordert hatte.

Je 16 Jahre Gefängnis und Schadenersatz in Millionenhöhe – dieses Urteil fällte ein Gericht in Turin gegen den Schweizer Unternehmer Stephan Schmidheiny und den belgischen Baron Louis De Cartier. Sie sollen als Besitzer der italienischen Eternit-Werke für den Tod von rund 800 Arbeitern verantwortlich sein, die an den Folgen von Asbest ums Leben gekommen sind.

In der Schweizer Presse wird das Urteil kritisch hinterfragt. Mit «Einseitiger Asbestprozess» ist der Kommentar in der «Neuen Zürcher Zeitung» betitelt. Es sei zwar verständlich, dass das Urteil von vielen begrüsst werde, da der jahrzehntelange Kontakt mit Asbest für Zehntausende viel Leid gebracht habe. Allerdings: «Es ist zu befürchten, dass Schmidheiny und De Cartier auf unredliche und billige Weise zu Sündenböcken gemacht wurden.»

Die Rede ist von einem Schauprozess

Linke Magistraten hätten die Federführung gehabt im Prozess, der für die NZZ «oft an einen Schauprozess» erinnerte. Die Richter hätten ignoriert, «dass gerade Schmidheiny ein Pionier des Asbest-Ausstiegs gewesen war und später dafür auch am UNO-Weltgipfel in Rio de Janeiro viel Anerkennung fand.»

In eine ähnliche Richtung geht der Kommentator des «Tages-Anzeigers», der ebenfalls das Wort «Schauprozess» verwendet: «Bloss gehört zu einem Schauprozess auch das konstruierte Delikt des Angeklagten. Und da musste nichts konstruiert werden. Es bleibt der unbestreitbare Umstand, dass die Fabrik mit Schmidheiny als grösstem Aktionär noch jahrelang auf Asbestbasis produzierte, als die gesundheitlichen Schäden bereits absehbar und wissenschaftlich belegt waren.»

Jedoch hätten staatliche Grenzwerte zu der Zeit gefehlt und die Asbestproduktion in Italien sei erst spät verboten worden. Zudem habe der Schweizer Industrielle rund 50 Millionen Franken in die Sicherheit investiert und mit dem Werk nie Geld verdient.

«Vorsätzliche Tötung zu unterstellen, ist absurd»

Als «Sündenbock» präsentiert die «Südostschweiz» Unternehmer Schmidheiny. Die Vorverurteilung sei einstimmig gewesen, der Druck auf das Gericht gewaltig. «Als zynischer Geschäftemacher, der absichtlich das Leben seiner Arbeiter aufs Spiel setzt, um seine Profite nicht zu gefährden» – so sei Schmidheiny dargestellt worden. «Ihm vorsätzliche Tötung zu unterstellen, wie dies der Staatsanwalt und indirekt nun auch das Gericht tut, ist absurd.»

In «20 Minuten» kommt FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger zum Schluss, dass «bei einem italienischen Industriellen kein so hartes Urteil gefällt worden wäre». SP-Nationalrätin Bea Heim hingegen begrüsst das Urteil: «Es wird in der Schweiz etwas bewegen», ist sie überzeugt. Kritik übt in der «Basler Zeitung» der Strafrechtsprozessor Martin Kilias. Das Urteil empfinde er als überraschend hart: «Das Strafmass bewegt sich in Bereichen, die anderswo für Mord üblich sind.» Dabei sei schon der Schuldspruch als solcher für ihn nicht ohne weiteres nachvollziehbar.

Goldener Käfig für Schmidheiny

Wo sich der Industrielle Stephan Schmidheiny derzeit aufhält, ist nicht bekannt. Die Anwälte der Opfer verlangen aber bereits, dass die Schweiz den Milliardär ausliefert. Klar ist: Wenn Schmidheiny nach Italien reist, könnte er in U-Haft genommen werden – in einem anderen Land kommt es darauf an, ob dieses ein Auslieferungsabkommen mit Italien hat, wie Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch gegenüber SF online erklärt. «Wenn ich Herr Schmidheiny wäre, würde ich mich in der Schweiz aufhalten.» Theoretisch möglich wäre es laut Gibor, dass Schmidheiny das italienische Strafmass stark verkürzt in der Schweiz absitzen könnte.(hal)

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