Der Statistik-Trick mit den jungen Arbeitslosen

Aktualisiert

Halbe WahrheitDer Statistik-Trick mit den jungen Arbeitslosen

Im September nahm der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen auf 3,5 Prozent ab, besagt die neueste Statistik. Tatsächlich ist die Quote aber mehr als doppelt so hoch.

von
Isabel Strassheim
Warten im RAV: Bei Schweizer Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit am höchsten.

Warten im RAV: Bei Schweizer Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit am höchsten.

Wer zwischen 15 und 24 Jahre alt ist, den trifft die Arbeitslosigkeit besonders: Im September verzeichneten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz den grössten Arbeitslosenanteil. Ihre Arbeitslosenquote lag bei 3,5 Prozent, gegenüber 3,6 Prozent im Vorjahresvergleich, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Mittwoch mitteilte. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen ohne Job wird von der Seco-Statistik gar nicht erfasst.

Die Arbeitslosenstatistik des Seco verzeichnet nämlich nur jene Stellensuchenden, die sich bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) registriert haben. Wer sich dort nicht gemeldet hat, gilt laut Seco auch nicht als arbeitslos. Vor allem Jugendliche gehen jedoch nicht sofort zum RAV, wie Seco-Sprecherin Marie Avet zu 20 Minuten sagt.

Zum Teil haben sie auch nicht sofort Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und sie suchen auf eigene Faust nach einer Lehrstelle, nach einem Arbeitsplatz oder nach einem Job neben dem Studium. Darum sind sie in den neusten publizierten Zahlen auch nicht erfasst.

BFS kommt auf 7,7 Prozent Arbeitslose

Ein genaueres Bild gerade der Jugendarbeitslosigkeit zeichnen deshalb die viermal jährlich erscheinenden Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS). Sie genügen den internationalen Standards und erfassen alle Personen ohne Arbeit, die in den letzten vier Wochen aktiv nach einer Stelle gesucht haben. Zu den Daten kommt die Behörde nicht über das RAV, sondern durch jährlich 125'000 Telefoninterviews in Schweizer Haushalten, bei denen nach Beschäftigung, Ausbildung, Stellensuche oder Gesundheitszustand gefragt wird.

Laut BFS lag im zweiten Quartal 2014 die Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen bei 7,7 Prozent. Neuere Daten gibt es noch nicht, doch erfahrungsgemäss nimmt die Quote im dritten Quartal deutlich zu.

Bei Älteren ist der Unterschied kleiner

Bei den über 50-Jährigen fällt der Unterschied in den beiden Statistiken weniger krass aus: Laut Seco betrug die Arbeitslosenquote in dieser Altersgruppe im September 2,6 Prozent (2,5 Prozent im Vorjahr). Die BFS-Quote liegt bei den 40- bis 54-Jährigen bei 3,6 Prozent, bei den 55- bis 64-Jährigen sind es 3,7 Prozent. Der Unterschied dürfte in dieser Altersgruppe vor allem durch die Zahl der Ausgesteuerten entstehen - denn sie tauchen in der Seco-Statistik nicht auf, weil sie ja keine Arbeitslosengeld mehr beziehen.

Insgesamt gesehen, also ohne Berücksichtigung der verschiedenen Altersgruppen, blieb die Arbeitslosenquote in der Schweiz stabil bei 3,0 Prozent. Nach Seco-Statistik. Laut BFS lag sie im zweiten Quartal bei 4,4 Prozent.

Carlo Knöpfel*, gibt es für die Schweiz überhaupt noch so etwas wie Vollbeschäftigung?

Mittlerweile beträgt die tiefste Arbeitslosenquote 3,0 Prozent. Anfang der 90er Jahren waren das nur 0,5 Prozent da konnten wir praktisch noch von Vollbeschäftigung reden. Seit den letzten 20 Jahren steigt die Zahl der Menschen, die auch zu Hochkonjunkturzeiten keine Stelle finden.

Aber es gibt doch viele ausgeschriebene Stellen.

Das Problem ist einerseits ein steigender Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Andererseits wächst die Zahl der wenig Qualifizierten, die keine Stelle finden. Wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Mangel an unqualifizierten Jobs.

Bei uns gibt es keine einfachen Jobs mehr?

Im Industriesektor werden die einfachen Arbeiten entweder automatisiert oder ins Ausland verlagert. Und dasselbe gilt auch für die Dienstleistungsbranche: Das Problem fängt am Frühstücksbuffet im Hotel an: Wir laufen fünf Mal zwischen dem Buffet und unserem Tisch hin und her, weil das Servicepersonal weggespart wurde. Auch an der Tankstelle bedient uns niemand mehr. Das sind genau die Jobs für wenig Qualifizierte, die uns fehlen. Einfachste Tätigkeiten verschwinden und werden vom Kunden oder vom Automat übernommen.

Und was machen wir mit den Leuten?

Sie können oft nicht in andere Branchen ausweichen oder sich weiterbilden. Die Automatisierung wird aber weitergehen, auch qualifizierte Arbeiten werden von Computern übernommen. Eine Entspannung für den Arbeitsmarkt kann die abnehmende Bevölkerung im Erwerbsalter bringen.

*Carlo Knöpfel ist Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz und forscht unter anderem zu den Themen Sozialhilfe und Armut.

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