«Ein Teufelskreis»Mit dem Franken in die Kreditklemme
Ildiko Papp kann ganz gelassen über die Pleite des Familienbetriebs sprechen. Kommt die Rede aber auf den Schweizer Franken, bricht sie fast in Tränen aus.

Ildiko Papp befindet sich in einem teuren Teufelskreis.
Die 55-jährige Floristin und ihr Mann hatten sich 61 000 Franken geliehen, den Gegenwert von 10 Millionen ungarischen Forint, um damit eine kleine Wohnung in einem Budapester Aussenbezirk zu zwei Dritteln zu finanzieren. Nach vier Jahren war der Franken dem Forint gegenüber so stark geworden, dass sich ihre Monatsraten von 50 000 Forint (240 Franken) auf 100 000 Forint (480 Franken) verdoppelten.
Schlimmer noch: Der Betrag in ungarischer Währung, den sie noch schuldete, war nicht geringer geworden, sondern um fast 50 Prozent auf 14,5 Millionen Forint gestiegen. Schier hoffnungslos, von diesen Schulden jemals wieder herunterzukommen. Und damit steht Papp in Osteuropa nicht allein.
«Ich stecke in einem Teufelskreis, zahle jeden Monat mehr und mehr und schulde der Bank immer noch mehr als zu Anfang», sagt sie. «Ich bin niedergeschlagen und bange. Ich höre morgens, mittags und abends Nachrichten, um zu wissen, wie der Schweizer Franken steht.»
Privatkonsum und Steuereinnahmen leiden
Fremdwährungsdarlehen waren Mitte des Jahrzehnts in Osteuropa gross in Mode. Heute haben mehrere Länder schwer daran zu tragen. Die Kredite in Franken, Euro oder Dollar erschweren es, in Ungarn, Rumänien oder der Ukraine das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und sich aus der Krise herauszustrampeln. Am grössten scheint das Problem in Ungarn zu sein: Die Belastung, Franken-Kredite mit drastisch abgewerteten Forint abzahlen zu müssen, würgt den privaten Konsum ab und schadet auch den Steuereinnahmen.
Die Fremdwährungsdarlehen ungarischer Haushalte summierten sich nach Angaben der Nationalbank Ende Juni auf 7,3 Billionen Forint (36 Milliarden Franken), fast 80 Prozent davon in Schweizer Franken. Von den 1,8 Millionen Kreditnehmern sind 400 000 mit ihren Zahlungen im Rückstand, 100 000 von ihnen drei Monate oder länger.
Die Auswirkungen spiegeln sich auch in den vielen leeren Schaufenstern in der Vaci utca wider, der Budapester Einkaufsmeile. Der Einzelhandelsumsatz in Ungarn ging über drei Jahre lang Monat für Monat zurück; erst im Juli gab es einen leichten Anstieg. Ausserdem ziehen viele Schuldner die Schwarzarbeit einem legalen Arbeitsverhältnis vor: So wird ihnen der Lohn nicht gleich gepfändet und sie zahlen keine Steuern - die der Staat aber dringend bräuchte.
Kunde trägt das Kursrisiko
Ildiko Papps Probleme begannen bald nach Auszahlung der Kreditsumme. Das Unternehmen ihrer Familie, ein Hersteller von Kinderbekleidung, wurde von billigen Asienimporten unterboten und ging pleite. Ihr Sohn war lange arbeitslos und hat selbst seine Schwierigkeiten, einen Autokredit abzuzahlen. Ihr Mann verkauft in einem gemieteten Laden Obst und Gemüse, mit wechselndem Erfolg. Monatelang versuchte Papp, den Schuldenberg mit einer Einmalzahlung aus dem Verkauf einer anderen Wohnung abzutragen, was die Bank nach ihrer Darstellung aber ohne angemessene Erklärung verweigerte.
Jahrelang hatten ungarische Banken Hypotheken, Verbraucherkredite oder Autofinanzierungen in Schweizer Franken zu viel niedrigeren Zinssätzen angeboten als in Forint. Bei weichen Währungen muss der Gläubiger schliesslich damit rechnen, dass das Geld viel weniger wert ist, wenn er es zurückbekommt. Stattdessen wurde das Kursrisiko auf die Kreditnehmer abgewälzt.
Die ahnten nichts von den wilden Kurssprüngen, die im Zuge der Finanzkrise kommen sollten. «Der Schweizer Franken wurde als die günstigste Alternative angeboten, und die Leute wurden davon abgehalten, Kredite in Forint aufzunehmen», sagt Papp. «Warum sollte ich dem nicht trauen, was der Bankangestellte mir erzählt?»
Ohne auf diesen Einzelfall einzugehen, verweist die OTP-Bank auf ein Formular, das die Hypothekennehmer unterschreiben mussten und das auf das Risiko von Wechselkursschwankungen hinweist. Der Kurs des Schweizer Franken könne sich «in jede Richtung und in jedem Ausmass» ändern, heisst es darin. Die Kredite wurden zumeist aufgenommen, als ein Franken rund 150 Forint wert war. Inzwischen sind es fast 204 Forint, Anfang September waren es vorübergehend sogar 225 Forint. Ausgereicht wurden die meisten dieser Darlehen von ungarischen Ablegern österreichischer, deutscher und italienischer Banken.
Nie mehr Kredit
Fremdwährungsdarlehen spielen nicht nur in Ungarn eine Rolle. In der Ukraine hat die Währung Griwna nach der Rezession 2008 rund 40 Prozent verloren; vergangenen November verbot die Regierung Devisenkredite an Privatkunden. Die Zentralbank ermutigt die Geldinstitute, Fremdwährungsdarlehen wo immer möglich auf Griwna umstellen. Doch die Schuldner zögern, weil die Kreditzinsen in Griwna während der Krise zehn bis 15 Prozent höher waren als in US-Dollar.
Ungarn setzte ab Juli ebenfalls Darlehen in Fremdwährungen aus und bereitet Massnahmen vor, um Immobilienkäufern aus der Klemme zu helfen. Unter anderem sollen die Banken verpflichtet werden, einen gemittelten Wechselkurs zugrundezulegen. Schuldner sollen ihre Kredite automatisch um fünf Jahre verlängern können.
Ein paar Tage nachdem sie von ihrer Leidensgeschichte erzählte, gelang es der Floristin Papp schliesslich, ihre bescheidene 52-Quadratmeter-Wohnung zu verkaufen und der Bank alles zurückzuzahlen. Doch nach vier Jahren Knappsen und Blechen steht sie jetzt ohne Wohnung und mit umgerechnet nur noch 2400 Franken da. Sie würde eher zu ihrer Mutter aufs Land ziehen, als noch einmal Schulden zu machen. «Ich will nie mehr irgendwas mit einem Bankkredit zu tun haben», versichert sie. «Ganz besonders nicht in Schweizer Franken.»