Er schlägt sie alle

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BörsenbriefEr schlägt sie alle

Welches ist die beliebteste Anlegerpublikation in der Schweiz, «Handelszeitung» oder «Finanz und Wirtschaft»? Weder noch. In Sachen Auflage hängt einer alle ab.

Werner Grundlehner
von
Werner Grundlehner
Der Banker, dem die Anleger vertrauen.

Der Banker, dem die Anleger vertrauen.

«Wer rettet die Retter», «Vertrauen ist preiswert» oder «Profit als Sozialpflicht», mit solchen und ähnlichen Titeln – sowie dem dazugehörenden Text – versteht es der Wegelin Anlagekommentar seine Leser zu fesseln. Mittlerweile über 100 000 Abonnenten warten sieben Mal pro Jahr gespannt auf die neuste Version. Seit über hundert Jahren erscheint die Publikation der St. Galler Privatbank. Zum Vergleich: Die Auflage der «Handelszeitung» erreicht 44 000, die «Finanz und Wirtschaft» bringt es auf 34 000 und «Stocks» auf 22 000. Der Wegelin-Kommentar ist zudem das Resultat der Arbeit eines Einzelnen. Seit 20 Jahren amtet Konrad Hummler, geschäftsführender Teilhaber der Wegelin & Co, als Autor. Er ist auch der Grund, dass die Leserzahlen explodiert sind.

Noch 1998 wurden erst 4000 Kommentare gedruckt. Mittlerweile erscheint der Kommentar in vier Sprachen, ist auf dem Internet zu lesen und als Podcast erhältlich. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Leser in Eigenregie eine Übersetzung ins Chinesische vornahm. Mit Vorliebe streut Hummler politische Ansichten in seine Kommentare. Angriffe gegen den Bundesrat, Bankenkommissionen oder andere Institute sind sein Markenzeichen.

Das grosse Publikumsinteresse ist einerseits in der kontroversen und herausfordernden Behandlung von Themen begründet sowie in der verständlichen Weise, in der komplexe Sachverhalte dargestellt werden. Zudem manifestiert sich die Freude des Autors am Schreiben und an der Sprache. Die Ansichten von Privatbankier Hummler sind auch in Deutschland gefragt. Die Kommentare finden immer wieder Einzug in die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», wo sie der angesehenen Redaktor Heinz Brestel mit Vorliebe prominent zitiert. Aber auch andere Zeitungen berichten mittlerweile oft über den Kommentar.

Eineinhalb Tage für 100 000 Exemplare

Konrad Hummler nimmt sich pro Ausgabe rund anderthalb Tage Zeit und ist in dieser Zeit für nichts anderes zu haben. Einen Tag vor dem Erscheinungstag stellt der Bankier seinen neuesten Anlagekommentar einem illustren Kreis in Bern, Zürich, St. Gallen und Schaffhausen vor. Nur gute Kunden kommen in diesen Genuss. Dank der kurzen Produktionszeit findet sowohl Aktuelles als auch länger Gereiftes Platz. Fabian Schönenberger, der persönliche Assistent von Hummler weiss mittlerweile, dass es bei jeder Ausgabe ausserordentliche Umstände zu berücksichtigen gibt. «So schreibt Dr. Hummler die letzten Zeilen vielleicht gerade in Bern oder das Feedback muss im Zug besprochen werden.» Das wirklich Erstaunliche dabei sei, dass Hummler allen Umständen zum Trotz den Sinn fürs Detail nie verliere – auch im Zug werde minutenlang diskutiert, ob es sich um einen Dativ oder Akkusativ handle.

Doch der Anlagekommentar ist nicht nur Hummler. Seit 1909 zeichnet sich der Kommentar durch Weitblick, eindeutige politische Stellungnahmen und Streitbarkeit aus. Hier einige Beispiele: Im Jahr 1920 thematisierte die Publikation die Aufhebung des Schweizer Bankgeheimnisses. Der damalige Autor schrieb: «...Die Lüftung des Bankgeheimnisses in ihrer Durchführung wäre mit vielen Schwierigkeiten und Arbeit verbunden [...] und würde einen störenden Einfluss auf das schweizerische Wirtschaftsleben ausüben.» Die Argumentation ist noch neunzig Jahre später die gleiche. 1965 beschäftigte sich die Publikation der Privatbank mit dem Thema: Verliert die Schweiz ihre Bedeutung als internationaler Finanzplatz? Dazu hiess es: «Stellte die Schweiz vor einigen Jahren noch das Musterbeispiel eines Landes dar...» Auch diese Aussage ist brandaktuell.

Beste Eigenwerbung und PR-Maschine

Beim Kommentar geht es der Privatbank nicht um selbstloses Informieren. Ein Zürcher Konkurrent meint dazu: «Die Publikation ist die grösste PR-Maschine für Wegelin.» Und auch die Bank selbst schreibt: «Das ist unser wichtigstes Kommunikationsinstrument.» Durch seine kontrovers diskutierten Statements erhält das Institut Aufmerksamkeit und Medienpräsenz. Damit erhält die Bank ein Gesicht und zwar jenes eines persönlich haftenden Teilhabers. Experten halten das für glaubwürdiger als die Kampagnen der Konkurrenz mit Claims wie «You & us» und «Eine Bank für alles, was Sie sind». Diese seien austauschbar und werden folglich auch alle paar Jahre geändert.

Wenig Tipps zu Anlagen

Auf den ersten Blick erscheint der Name «Anlagekommentar» wenig treffend, denn Börsentipps sucht man auf den ersten Seiten vergeblich. Erst im letzten Abschnitt kommt der Autor zu den Schlussfolgerungen für den Anleger. Diese haben jedoch bereits gelernt, dass die wichtigsten Treiber an den Börsen die volkswirtschaftlichen Entwicklungen sind.

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