SchuldenbergGrossbritannien am Abgrund
Die Staatsschulden schnellen nach oben, das Haushaltsdefizit steigt. Die Politik spricht von Ausgabenkürzungen und höheren Steuern. Die Gewerkschaften sind gereizt. Der Wert der Währung sinkt. Nein, die Rede ist hier nicht von Griechenland. Es geht um Grossbritannien.
Das Vereinigte Königreich, etwa sechsmal grösser als Griechenland, häuft die Schulden noch schneller an als das derzeitige Krisenland Nummer eins in Europa. Die prekäre Lage Londons zeigt, dass Europas Probleme weit über die traditionell strukturschwachen Regionen Südeuropas hinausgehen.
Im Gegensatz zu den fast bankrotten Griechen haben die Briten aber zwei wichtige Vorteile auf ihrer Seite: Sie haben ihre eigene Währung. Und sie geniessen bei den internationalen Ratingagenturen hohes Ansehen, was in der immer noch famosen AAA-Bewertung britischer Anleihen zum Ausdruck kommt.
Verkompliziert wird die Situation allerdings von der bevorstehenden Unterhauswahl, die wahrscheinlich am 6. Mai abgehalten wird. Nach aktuellen Umfragen können weder die regierende Labour Party noch die Konservativen mit einer absoluten Mehrheit im nächsten Unterhaus rechnen. Es wäre das erste Mal seit 1974, dass im Unterhaus eine Koalition oder eine Minderheitsregierung notwendig würde. Normalerweise sorgt das Wahlrecht der einfachen Mehrheit für klare Machtverhältnisse. Die Durchsetzung harter, unpopulärer Sanierungsmassnahmen wird der nächsten Regierung angesichts unklarer Mehrheitsverhältnisse und bislang vager Aussagen der Parteien zu Rezepten gegen die Krise schwer fallen.
Defizit höher als in Athen
Die britischen Schulden wachsen derweil in alarmierendem Tempo weiter. Allein im Januar lieh sich die Regierung 4,3 Milliarden Pfund (6,9 Milliarden Franken). Wirtschaftsexperten warnen, dass sich das Land auf dem besten Weg befindet, im Jahr 2009/10 ein Defizit von 12,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anzuhäufen. Das wäre sogar etwas mehr als das prognostizierte 12,7-Prozent-Defizit im krisengeschüttelten Griechenland und mehr als doppelt so viel wie im EU-Durchschnitt (6 Prozent).
Die britische Gesamtverschuldung wird in diesem Jahr schätzungsweise auf 82 Prozent des BIP steigen. Das ist fast doppelt so viel wie vor zwei Jahren, aber weitaus weniger als die 123 Prozent in Griechenland.
Das riesige britische Defizit ist zu einem grossen Teil auf die Unsummen zurückzuführen, die die Regierung zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise ausgegeben hat. Der Staat hat zwei ins Schlingern geratene Hypothekenfinanzierer übernommen und hält Mehrheiten an zwei Grossbanken, der Royal Bank of Scotland und der Lloyds Banking Group. 200 Milliarden Pfund hat die Bank of England in die Finanzmärkte gepumpt, um die Kapitalversorgung sicherzustellen.
Die Zinsen britischer Staatsanleihen sind in den vergangenen Wochen stark gestiegen und gehören jetzt zu den höchsten in Europa. Im Gegenzug verliert das Pfund gegenüber dem Dollar ständig an Wert. Erhielt man zu Jahresbeginn noch 1,61 Dollar für ein Pfund, so sind es gegenwärtig nur noch etwa 1,49 Dollar - ein Rückgang von sieben Prozent.
«Noch kontrollierbar»
Das Fehlen einer klaren politischen Mehrheit nach der Wahl wird, so erwarten viele, die Umsetzung von Sanierungsmassnahmen verzögern und bei internationalen Investoren zu einem Vertrauensverlust führen. «Das britische Haushaltsdefizit ist zwar besorgniserregend hoch, aber noch kontrollierbar», erklärt Richard Lambert, Generaldirektor des Britischen Industrieverbands. «Die Regierung muss aber jetzt handeln, um einen überzeugenden, glaubhaften Weg aufzuzeigen, wie die Bilanzen wieder in Ordnung gebracht werden sollen.»
Brian Coulton von der Ratingagentur Fitch weist warnend darauf hin, dass sich das britische Kreditprofil in den vergangenen Monaten verschlechtert habe. Die Pläne der Regierung würden dem, was das Land brauche, aber bei Weitem nicht gerecht. Er fühle sich deshalb «unbehaglich» und hoffe, dass in diesem Jahr «glaubhaftere» Pläne vorgelegt würden. Die bevorstehende Wahl macht dies aber fast unmöglich.
Brown kündigt Sparmassnahmen an
Mit einer Deckelung der Bezüge ranghoher Staatsdiener will der britische Premierminister Gordon Brown die hohe Staatsverschuldung eindämmen. Davon betroffen sind Spitzenbeamte, Offiziere, Richter und Ärzte im staatlichen Gesundheitswesen, wie Brown am Mittwoch in einer Rede in London erklärte. Zusammen mit der im Dezember verfügten Einfrierung von Ministergehältern würden damit bis zum Haushaltsjahr 2013-2014 gut drei Milliarden Pfund (4,8 Milliarden Euro) eingespart.
Brown betonte allerdings, dass es noch zu früh sei für umfassende Sparmassnahmen - insbesondere für einen Abbruch der Konjunkturförderung für angeschlagene Wirtschaftsunternehmen. Die jüngsten Anzeichen einer konjunkturellen Erholung dürften auf keinen Fall zunichte gemacht werden. Gleichwohl sei die Regierung entschlossen, das derzeitige Defizit im Umfang von 178 Milliarden Pfund (286 Milliarden Franken) binnen vier Jahren zu halbieren, sagte Brown.