DumpinglöhneLohn nach Lehre reicht nicht mehr zum Leben
Trotz Lehrabschluss verdienen fast 150'000 Schweizerinnen und Schweizer weniger als 4000 Franken im Monat. Beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund schrillen die Alarmglocken.

Den höchsten Anteil an Beschäftigten mit Tieflöhnen gibt es bei den Coiffeuren.
Die Lehre ist ein Schweizer Erfolgsmodell in der Berufsbildung. Sie gilt als Basis für einen soliden Job und ein angemessenes Einkommen. Doch der Putz von diesem Idealbild bröckelt zusehends. Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer mit einem Lehrabschluss arbeiten zu einem Tieflohn.
«Berufsleute mit einer Lehre stehen auf der Verliererseite der Lohnentwicklung», sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart. Schülern werde versprochen, dass sie mit einer Lehre später eine Familie ernähren können. «In Wirklichkeit gilt das nicht mehr.»
Man könne von einer regelrechten Flaute auf dem Lohnkonto sprechen, so Lampart. Die Löhne von Lehrabsolventen sind laut SGB-Berechnungen von 2002 bis 2010 nach Abzug der Teuerung um 0,4 Prozent gesunken. Zum Vergleich: Der mittlere Lohn aller Schweizer Arbeitnehmenden ist in diesem Zeitraum um 3,5 Prozent gestiegen.
«Reicht nicht mehr zum Leben»
Als Tieflohn gilt ein monatliches Einkommen von unter 3986 Franken. Knapp 12 Prozent oder 437'200 Schweizer Arbeitnehmer unterschreiten diese Marke. Besonders prekär ist laut SGB, dass 144'600 dieser Tieflohn-Angestellten einen Lehrabschluss in der Tasche haben: «Es ist alarmierend, dass das Einkommen von immer mehr Erwerbstätigen mit Lehre nicht mehr zum Leben reicht», sagt SGB-Präsident Paul Rechsteiner.
Betroffen sind immer mehr Lehrabsolventen in der Schweiz: Verdienten im Jahr 2000 noch 8,2 Prozent der Erwerbstätigen mit Lehre weniger als 4000 Franken pro Monat, waren es 2010 schon über 10 Prozent. Mit anderen Worten: Rund 40 Prozent aller «Tieflöhner» in der Schweiz haben eine abgeschlossene Lehre. Deshalb fordert Rechsteiner: «Wir wollen deutliche Lohnerhöhungen für die betroffenen Berufsleute – eine Lehre muss sich schliesslich auszahlen.»
Im Detailhandel am schlimmsten
Am meisten Mitarbeiter mit Tieflohn zählt der Detailhandel mit schweizweit 73'400 Angestellten im Jahr 2010. «Vor allem in grossen Schuh- und Kleidergeschäften gibt es viele Negativ-Beispiele », sagt Lampart. In dieser Branche hätten zwei Drittel der Angestellten mit weniger als 4000 Franken Monatslohn eine Lehre absolviert. «Offensichtlich garantiert auch eine mehrjährige Ausbildung keinen Schutz mehr vor Dumpinglöhnen», so Lampart.
Insgesamt 32 Prozent der Arbeitnehmenden im Kleider- und Schuhhandel bekommen einen Lohn unter der Tieflohnschwelle. 10 Prozent verdienen für eine Vollzeitstelle sogar weniger als 3400 Franken.
«Grosses und ungelöstes Problem»
Auf Platz zwei der Tieflohn-Hitliste folgt das Gastgewerbe, auf Platz drei die wirtschaftlichen Dienstleistungen, zu denen etwa die Reinigungsbranche zählt. Den höchsten Anteil an Beschäftigten mit Tieflöhnen gibt es bei den Coiffeuren.
Die Dumpinglöhne sind für den SGB ein grosses und ungelöstes Problem. «Es muss zu denken geben, dass rund ein Fünftel der Erwerbstätigen in Schwierigkeiten gerät, wenn eine ausserordentliche Ausgabe von 2000 Franken wie eine Zahnarztrechnung oder eine Autoreparatur zu bezahlen ist», so SGB-Präsident Rechsteiner.

Warum zahlen gewisse Arbeitgeber Tieflöhne trotz Lehrabschluss? Thomas Daum*: In Branchen wie dem Coiffeurgewerbe oder der Gastronomie liegt einfach nicht mehr drin.
Warum zahlen gewisse Arbeitgeber Tieflöhne trotz Lehrabschluss? Thomas Daum*: In Branchen wie dem Coiffeurgewerbe oder der Gastronomie liegt einfach nicht mehr drin.
Sind die Arbeitgeber zu knausrig?
Nein. Tieflöhne werden meist nur von Unternehmen gezahlt, die sich aufgrund der Erträge nicht mehr leisten können.
Ist das keine Augenwischerei?
Nein. Solange die Leute nicht bereit sind, mehr fürs Essen im Restaurant oder fürs Haareschneiden zu bezahlen, können die Löhne nicht steigen.
Tieflohn trotz Lehre welches Signal sendet das an die Jugendlichen?
Es sollte Junge auf keinen Fall von einer Lehre abhalten ...
... trotz fehlender Lohnperspektive?
Lehrabgänger sollten langfristig denken. Nach der Lehre haben sie viele Weiterentwicklungsmöglichkeiten beispielsweise ein Studium an einer Fachhochschule. Damit stossen sie dann auch in höhere Lohnregionen vor. (vb)
*Thomas Daum ist Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.