Top-Rating verlorenBritische Wirtschaft gerät ins Taumeln
Erstmals seit über 40 Jahren wird Grossbritanniens Bonität von der Ratingagentur Moody's um eine Stufe herabgesetzt. Schuld daran dürfte das rigide Sparprogramm der Regierung Camerons sein.

Englands Premierminister David Cameron vertraut auf die Märkte.
Gemunkelt wurde seit Monaten, jetzt machte die Ratingagentur Moody's ernst: Grossbritannien gehört erstmals seit den 1970er-Jahren nicht mehr zum Kreis der Länder mit Top-Rating. Das Land ist beim Schuldenabbau aus dem Tritt gekommen.
Es war weniger eine Frage des «ob», sondern vielmehr eine des «wann»: Grossbritannien hat seine Top-Note bei der Ratingagentur Moody's verloren. Die Entscheidung, die Bewertung um eine Stufe von Aaa auf Aa1 herunterzunehmen, kam mit Ansage.
Spätestens seit Finanzminister George Osborne Anfang Dezember in seinem Herbststatement zugeben musste, dass er beim Schuldenabbau völlig aus dem Tritt gekommen ist und der Zeitplan keinesfalls eingehalten werden kann, war klar: Lange wird die Top-Bonität nicht mehr zu halten sein. Herabstufungen durch andere Ratingagenturen könnten nun folgen.
Premierminister David Cameron hatte bereits im Januar vorgebeugt: Die Meinung der Märkte sei wichtiger als die der Ratingagenturen, sagte Cameron damals der BBC. Seine Regierung war im Mai 2010 mit dem eisernen Willen angetreten, die Schulden des Inselstaates zu drücken. Sie liessen eine Rotstift-Politik mit nie dagewesenem Sozialabbau, Kürzungen in allen öffentlichen Bereichen, verdreifachten Studiengebühren und Massenentlassungen im öffentlichen Dienst folgen.
Theorie nicht in Praxis umgesetzt
Gleichzeitig sollte die in Schieflage geratene Wirtschaftsstruktur verändert werden. Weg von der zu starken Konzentration auf den Finanzsektor, hin zu industrieller Produktion: «Echte Dinge», wie Cameron es einmal ausdrückte, müssten von Grossbritannien aus wieder in die Welt exportiert werden, nicht nur Luftschlösser aus den Investmentabteilungen der Banken und Schattenbanken in der Londoner City.
So weit die Theorie. In der Praxis greift die Politik Camerons nicht. Der rigide Sparkurs hat das Wachstum abgewürgt und damit auch die Steuereinnahmen. Im Jahr 2012, als die Konjunktur durch die Olympischen Spiele in London eher noch angekurbelt wurde, stand am Ende dennoch ein Minus von 0,1 Prozent zu Buche.
Zwar konnte die Neuverschuldung von einst 11,5 Prozent im Jahr 2009 schrittweise auf 6,9 Prozent abgebaut werden - knapp vier Punkte über dem erlaubten Maastricht-Kriterium. Dies gelang jedoch auch nur, weil der Pensionsfonds der staatlichen Post Royal Mail mit 28 Milliarden Pfund (39,8 Milliarden Franken) aufgelöst wurde - ein Einmaleffekt, der immense Kosten für den Staat in der Zukunft nach sich ziehen wird, wie Experten befürchten.
Immense Gesamtverschuldung
Bei der Gesamtverschuldung sieht es noch düsterer aus: Im dritten Quartal 2012 war laut der europäischen Statistikbehörde ein Schuldenstand von 87,8 Prozent des Bruttoinlandproduktes aufgelaufen. Da im vierten Quartal das Wirtschaftswachstum mit 0,3 Prozent rückläufig war, dürfte Grossbritannien am Jahresende mit mehr als 90 Prozent in der Kreide gestanden haben - insgesamt die enorme Summe von 1,35 Billionen Pfund. Rechnet man die Stützungsmassnahmen für das marode Bankensystem mit ein, schnellt die Schuldenrate gar auf 140 Prozent.
Immerhin hat Moody's auch ein gutes Haar an den Briten gelassen. Die Volkswirtschaft sei wettbewerbsfähig und diversifiziert. Der Ausblick ist jetzt stabil - eine weitere Herabstufung droht zunächst nicht. In der Tat hatte sich zuletzt die Arbeitslosigkeit, die derzeit bei 7,8 Prozent liegt, etwas günstiger entwickelt. Auch die Exporte machten in jüngster Zeit Fortschritte. Dass der Pfundkurs in den vergangenen Wochen auf Talfahrt sowohl im Vergleich zum Euro als auch zum US-Dollar ging, kommt der Regierung in dieser Hinsicht nicht ungelegen.
Die Zentralbank in London scheint - darauf lassen jüngste Äusserungen aus der Bank of England schliessen - der Eindämmung der Inflation nicht mehr die oberste Priorität einzuräumen. Sie werde mittelfristig nicht mehr die Zielmarke von zwei Prozent erreichen, sondern eher bei drei Prozent liegen. Kritiker von der Labour-Opposition schäumen vor Wut: Die konservative Regierung um Börsianer-Sohn David Cameron lasse den kleinen Mann auf der Strasse über schnell steigende Preise die Schulden zahlen, die die Banker verursacht haben. (sda)