Sie befreit die Kanalisation von unserem Dreck

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Aussergewöhnliche LehreSie befreit die Kanalisation von unserem Dreck

Virginia Salzmann ist die erste Frau in der Schweiz, die Entwässerungstechnologin werden will. 20 Minuten ist mit ihr in den Schacht gestiegen.

von
V. Blank

Virginia Salzmann wird im Untergrund 30 Zentimeter langen Ratten begegnen und all den Güsel sehen, den die Schweizer achtlos das WC runterspülen: Binden, Tampons, Windeln. (Video: Murat Temel)

Die 18-jährige Virginia Salzmann strahlt vor Glück, als ihre Füsse den Boden drei Meter unter der Oberfläche berühren. Sie ist zum ersten Mal in einen Schacht hinabgestiegen. Der Geruch ist penetrant, der Boden von einer braun-grauen, schlammartigen Masse bedeckt.

«Hier, da klebt das Überbleibsel einer Damenbinde», erklärt Virginias Lehrlingsausbildner Daniel Hegi und zeigt auf die Wand. Auch dass man beim Abschreiten des Kanals «der einen oder anderen menschlichen Ausscheidung» begegne, sei möglich.

«Gruusig? Überhaupt nicht»

Virginia bleibt unbeeindruckt. Sie hat im August die Lehre als Entwässerungstechnologin begonnen – und ist damit die allererste Frau in der Schweiz, die diese Ausbildung macht. «Gruusig? Nein, gruusig finde ich das überhaupt nicht», sagt sie.

Die 18-Jährige wird während ihrer dreijährigen Lehre viel über 120'000 Franken teure Kamera-Roboter lernen müssen oder über die hydrodynamische Reinigung von Abwasserkanälen. Sie wird im Untergrund aber auch 30 Zentimeter langen Ratten begegnen und all den Güsel sehen, den die Schweizer achtlos das WC runterspülen: Binden, Tampons, Windeln.

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Kontakt mit Dreck und Gestank

Für viele mag das nicht gerade nach einer Traumlehre klingen. Doch für Virginia ist es das. Für ihre Ausbildung nimmt sie nicht nur den Kontakt mit Dreck und Gestank auf sich, sondern auch einen langen Arbeitsweg: Die 18-Jährige steht jeden Morgen um 4 Uhr auf, um zu ihrem Lehrbetrieb, der Firma ISS Kanal Services in Boswil AG, zu pendeln.

Beim Besuch von 20 Minuten sitzt Virginia im Regieraum des Firmenwagens, der unmittelbar neben einer Schachtöffnung steht. Dort muss sie den Einsatz des vierrädrigen Kamera-Roboters am Computer vorbereiten. Die Videoaufnahmen werden ihr zeigen, in welchem Zustand der unter der Strasse verlaufende Kanal ist und ob es Sanierungsbedarf gibt.

Erst rauswaschen, dann filmen

Arbeitskollege Fabian Murmann ist inzwischen mit dem Lastwagen vorgefahren, um den Kanal vor der Kamerafahrt «rauszuwaschen», wie er sagt. Sobald der Kanal sauber ist, kann Virginia den Kamera-Roboter in die Schachtöffnung hinunterlassen. Lehrlingsausbildner Hegi beobachtet sie mit Argusaugen: «Wenn das Gerät kaputtgeht, ist das eine teure Angelegenheit.»

Doch Virginia schafft die Aufgabe mit Bravour. Der Roboter ist im Kanal, jetzt kann ihn die Lernende vom Regieraum aus per Joystick steuern und den Kanal rauf- und runterfahren lassen. Die Aufnahmen am Bildschirm zeigen: alles in Ordnung da unten.

In den Fussstapfen des Vaters

Dank der technischen Helfer müssen Entwässerungstechnologen heute viel seltener in die Kanalisation absteigen als früher. Umso mehr freut sich Virginia, dass sie heute zum ersten Mal selbst runterdarf, um einen Kanal zu inspizieren. 200 Meter weiter befindet sich der nächste Schacht. Ausgerüstet mit Helm, Stirnlampe und Kletter-Gstältli, seilt sich die 18-Jährige die drei Meter in die Tiefe ab.

Sie scheint hier im Untergrund in ihrem Element zu sein. Das Flair für Schächte und Kanäle ist ihr offenbar bereits in die Wiege gelegt worden. Auf die Frage, warum sie gerade diese Lehre gewählt habe, sagt sie: «Das liegt vor allem an meinem Papi.» Auch er sei in dieser Branche tätig – nun freue sie sich, in seine Fussstapfen zu treten.

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