KonjunkturSchweizer Wirtschaft lebt von der Zuwanderung
Im Vergleich zur Eurozone erbringt die Schweizer Wirtschaft zurzeit eine erstaunlich gute Leistung. Dennoch nimmt das Wachstum pro Kopf nicht zu.

Der Konsum und die Zuwanderung stützen die Schweizer Binnenwirtschaft.
«Fels in der Brandung» – so kommentierte die Credit Suisse die Veröffentlichung der neuesten Zahlen zum Bruttoinlandprodukt (BIP). Tatsächlich lassen sich die Wirtschaftszahlen zum 4. Quartal 2012 in der Schweiz sehen: Es kam nicht zum befürchteten Stillstand. Vielmehr nahm das reale BIP gegenüber dem Vorquartal um 0,2 Prozent zu. Im Vergleich zum Vorjahr ermittelte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein Wachstum von 1,4 Prozent.
Noch heller leuchten die Sterne im internationalen Vergleich: Der Euroraum verzeichnete im 4. Quartal einen Rückgang des BIP um 0,6 Prozent. Selbst Deutschland schnitt mit einem Minus von 0,6 Prozent deutlich schlechter ab als die Schweiz. Im ganzen Jahr resultierte in der Schweiz ein Wachstum von 1,0 Prozent, während der Euroraum mit einem Minus von 0,6 Prozent in die Rezession zurückfiel.
Unterdurchschnittliches Jahr
Mit Superlativen sollte man dennoch vorsichtig sein, wenn man die Leistung der Schweizer Wirtschaft einstuft. So zeigt der Blick zurück, dass 2012 im längerfristigen Vergleich ein unterdurchschnittliches Jahr war. In den letzten zehn Jahren war das Wachstum bloss drei Mal tiefer als 2012: Im Krisenjahr 2009 (-1,9%), im Rezessionsjahr 2003 (-0,3%) und 2002 (+0,4%). Mit anderen Worten: Das Wachstumspotenzial wird zurzeit nicht voll ausgeschöpft.
Die grössten Wachstumstreiber waren auch letztes Jahr die Konsumenten, die mit ihren Ausgaben rund 60 Prozent zum BIP beisteuerten. Die CS-Ökonomen führen dies vor allem auf Mehrausgaben im Gesundheitsbereich sowie auf die wieder gestiegene Nachfrage nach Finanzdienstleistungen zurück.
Konsum profitiert von Zuwanderung
Der Konsum profitiert auch vom Bevölkerungswachstum und damit von der Zuwanderung. Hier kommt ein zweiter Vorbehalt: Das BIP pro Kopf der Bevölkerung bringt die Entwicklung von Einkommen und Reichtum besser zum Ausdruck als die absolute Höhe.
Seit 2007 hat sich das Bevölkerungswachstum auf etwa 1 Prozent pro Jahr erhöht. Noch liegen die Zahlen für 2012 nicht vor. «Wenn es dabei bleibt, dürfte das BIP pro Kopf stagniert haben», sagt aber Seco-Ökonom Bruno Parnisari. Er schliesst auch einen leichten Rückgang nicht aus.
Wachstum mit Fragezeichen
Der Blick auf die Arbeitslosenzahlen und die Beschäftigung zeigt allerdings, dass die Schweiz bei anderen Indikatoren im internationalen Vergleich ebenfalls sehr gut abschneidet. An kritischen Einwänden fehlt es aber auch hier nicht. So weisen die CS-Ökonomen darauf hin, dass sich das Beschäftigungswachstum in letzter Zeit vor allem auf das Gesundheits- und Sozialwesen, den Staat und den Bausektor konzentriert. Das Wachstumspotenzial dieser Branchen müsse mit einem Fragezeichnen versehen werden.
Gewähr für die Zukunft gibt der solide Leistungsausweis der Schweiz vor allem wegen der internationalen Verflechtung der Wirtschaft nicht. Noch rechnen die meisten Konjunkturexperten mit einer leichten Wachstumsbeschleunigung im Laufe dieses Jahres. Die internationale Schuldenkrise ist aber alles andere als gelöst.
Italien kann zu Stimmungswechsel führen
Ereignisse wie der Wahlausgang in Italien können zu brüsken Stimmungswechseln auf den Finanzmärkten führen, denen sich die Schweiz nicht entziehen kann. Bankökonomen zeigten sich jedenfalls überzeugt, dass die robusten BIP-Zahlen kein Anlass für die Nationalbank sind, ihre Politik mit dem Euro-Mindestkurs zu ändern.
Ein Ökonom der Bank Sarasin sagte der Nachrichtenagentur Reuters: «Wenn die SNB die 1,20-Franken-Grenze aufgeben würde, würde der Franken auf 0,90 steigen und eine tiefe Rezession in der Schweiz auslösen.»