«Das ist so etwas wie ein Börsen-Orgasmus»

Aktualisiert

Magische Marken«Das ist so etwas wie ein Börsen-Orgasmus»

SMI vor 9000, Dax vor 10'000 und Dow Jones vor 17'000 Punkten: Die weltweiten Börsenidizes stehen kurz vor magischen Marken. Und diese ziehen Privat-Anleger magisch an.

von
Yves Hollenstein
Sorgen die Börsenkurse bald für Erlösung? Anleger weltweit schielen auf die ganz grossen Zahlen.

Sorgen die Börsenkurse bald für Erlösung? Anleger weltweit schielen auf die ganz grossen Zahlen.

Diese Woche sprang der deutsche Aktienindex Dax erstmals über 9'700 Punkte und ist damit der fünfstelligen Marke so nah wie noch nie. Und auch andere wichtige Indizes wie der amerikanische Leitindex Dow Jones oder das Schweizer Pendant Swiss Market Index SMI stehen kurz vor ganz runden Marken.

«Diese Marken wecken natürlich das Interesse der breiten Öffentlichkeit», sagt der Börsenexperte Oliver Dettmann von Wellershof & Partner – und dasjenige der Medien. In fetten Buchstaben titelte beispielsweise «Der Aktionär»: «Dax 10'000, wir kommen!» Warum das so ist, weiss der renommierte Börsenpsychologe Norman Welz: «Wir haben einen Drang zu grossen Zahlen, das war schon in der griechischen Mythologie so.» Es betitle sich deshalb auch niemand als Millionär, wenn er «nur» 999'999 Franken auf dem Konto hat. So bedienen sich Analysten in ihrer Jahresprognose gern der runden Zahlen. Dabei wäre es besser, Analysten würden Kurskorridore angeben, sagt Philipp Jäggle, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank: «Denn eine Punktprognose wird ohnehin fast nie genau getroffen.»

Vorgetäuschte Sicherheit

Eine magische Wirkung haben diese grossen Zahlen auch auf die Privat-Anleger. «Je weniger Erfahrung ein Anleger hat, desto mehr sucht er nach Sicherheit», stellt der Börsenpsychologe fest. Wenn ihm nun von allen Seiten eingeimpft werde, dass die Börsen diese Marken erklimmen werden, dann glaube er das irgendwann auch. Welz spricht von einer vorgezogenen Realität: «Der Anleger ist sich sicher, dass es so kommen wird und investiert.»

Dass das in die Hosen gehen kann, zeigen Beispiele aus der Vergangenheit. Schon 1999 oder 2007 waren sich unzählige Experten einig, dass die 10'000 Punkte im Dax jetzt kommen mögen – obwohl der Index damals viel tiefer stand als heute. Die Quittung folgte prompt: «Es gab damals unglaublich viele Leute, die unglaublich viel Geld verloren haben», erinnert sich Welz.

Der Grund: Zwischen gut verdienenden Profis und Otto-Normalanlegern gebe es einen markanten Unterschied: «Erstere haben einen Plan, zweitere nicht.» Profis wüssten ganz genau, wann sie ein- und wieder aussteigen werden. Der unerfahrene Privat-Anleger aber lasse seine Positionen zuweilen bis zum bitteren Ende laufen – sprich bis zum Totalverlust. «Wir hassen Verluste», sagt Welz.

«Börsen-Orgasmus»

Noch ist der Glaube aber fest verankert, dass die magischen Marken dieses Mal erklommen werden. Nicht zu Unrecht, denn immerhin stand der SMI Mitte 2007 auch schon auf 9548 Punkten. Was also, wenn es jetzt tatsächlich klappt? Börsenpsychologe Norman Welz: «Dann haben wir so etwas wie einen Börsen-Orgasmus.» In anderen Worten, es ist geschafft, die Luft ist draussen. Die grosse Masse werde ihre Positionen verkaufen, es folge, was in der Fachsprache Konsolidierung oder Korrektur genannt wird - fallende Kurse also. Bis die Anleger wieder neue Ziele ins Auge fassen.

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