Die Schweiz ist outBollywood tanzt nicht mehr in den Alpen
Die Inder haben sich offenbar am Heidiland sattgesehen: Die Bollywood-Filmproduzenten drehen immer weniger Filme in der Schweiz. Experten warnen vor negativen Folgen für den Tourismus.

Bollywood-Szenen in der Schweiz werden seltener – ausser, sie stammen aus Schweizer Produktion wie aus «Tandoori Love» von Oliver Paulus.
Saftige Wiesen, blaue Seen und tanzende Verliebte vor einer traumhaften Bergkulisse: Jahrelang wurde die Schweiz in indischen Filmen als idyllisches Paradies dargestellt – damit ist nun Schluss. Laut Marco Spiess, Filmredaktor bei der Zeitschrift «Tele», ist der Drehort Schweiz für Bollywood-Filmcrews fast komplett gestorben.
Als Grund nennt er die Übersättigung der Zuschauer: «Fast in jedem Film kam früher eine Sequenz vor, die in der Schweiz gedreht wurde. Indische Filmfans kennen die Schweiz mittlerweile fast gleich gut wie ihr eigenes Land.» Immer die gleichen verschneiten Berge seien ihnen aber zu langweilig, erklärt der Filmexperte.
«Nur Landschaften reichen nicht»
In den 90er und frühen 2000er Jahren wurden bis zu 40 Bollywood-Filme pro Jahr in der Schweiz gedreht. Wie die «Neue Luzerner Zeitung» berichtet, ist es heute nur noch ein Bruchteil davon. Stattdessen wird nun vermehrt in allen möglichen Ferienparadiesen der Welt gefilmt. «Viele Inder können es sich mittlerweile leisten, überall hinzureisen. Dies soll mit der Wahl der Drehorte ausgedrückt werden», so Spiess.
Bei Roger Neuburger, Kommissionär von Film Location Switzerland, schrillen die Alarmglocken. Seiner Meinung nach müssten die Schweizer Filmproduzenten und Tourismuszentren nun aktiv daran arbeiten, die Filmcrews wieder in die Schweiz zu holen: «Länder wie die USA, Österreich und England bieten den Teams einen finanziellen Anreiz beim Drehen von Filmen. Das braucht es bei uns auch. Nur Landschaft allein reicht nicht mehr.»
«Bloss ein wenig logistische Hilfe»
Mit der Forderung nach mehr finanziellen Mitteln stiess Film Location Switzerland bisher aber überall auf taube Ohren. «In der Schweiz wird bloss ein wenig logistische Hilfe angeboten. So wandern Filme in kürzester Zeit ins Ausland ab.» Dann könnten andere Destinationen die Schweiz über einen längeren Zeitraum als Top-Reiseziel ablösen.
Unterstützung erhält er von Filmexperte Marco Spiess. Für ihn braucht es aktive Arbeit, um grosse Filmteams wieder in die Schweiz zu locken: «Die Standortvorteile haben wir schon, es geht nur darum, diese auch zu verkaufen.» Bei Schweiz Tourismus hat man einen ersten Schritt in diese Richtung getan und vermehrt TV-Produktionen in die Schweiz eingeladen, um mehrere Episoden mit in Indien bekannten Soap-Opera-Stars zu drehen.
«Schweiz: Ein Paradies auf Erden»
Überhaupt sieht Daniela Bär, Sprecherin von Schweiz Tourismus, einen grossen Einfluss der Bollywood-Filme auf ihre Branche: «Für viele Inder ist die Schweiz immer noch ein Paradies auf Erden: ein Land mit einer wunderschönen Landschaft und Bergwelt, friedlich, sauber und mit überschaubaren, schmucken Städten. Durch die Filme konnte das Image eines Traumreisezieles nachhaltig aufgebaut werden.»
Auch Martin Bachofner, Direktor von Gstaad Saanenland Tourismus, erkennt den Nutzen, den Bollywood-Filme für seine Destination gebracht haben. Angst, dass die Urlauberzahlen in den nächsten Jahren zurückgehen werden, hat er aber nicht – trotz lediglich sechs Filmanfragen in den letzten zwei Jahren.
Mehr Inder können sich Ferien leisten
Auf die Tourismusbranche hat der drastische Rückgang an Filmen bisher noch keinen Einfluss. So hat Schweiz Tourismus 2012 bei indischen Gästen in der Hotellerie den Rekordwert von 474'882 Übernachtungen verzeichnet. Die Bedeutung von indischen Touristen für den Tourismusstandort Schweiz ist also nicht zu unterschätzen.
Pro Jahr entstehen in Indien 40-50 Millionen neue Mittelstandshaushalte, die sich Auslandsreisen leisten können. Mit 300 Franken Tagesausgaben gehören sie zudem zu den ausgabefreudigsten Touristen der Welt. Sollte die Schweiz den Status als Top-Reisedestination an andere Länder verlieren, könnte den verschiedenen Ferienorten also eine Menge Geld durch die Lappen gehen.
Dreharbeiten für einen Bollywood-Film in Gstaad (Video: youtube.com)