Euro-KriseAnfang Mai stand die Finanzwelt vor dem Crash
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vor anderthalb Monaten einen Crash verhindert. Sie vergleicht die Zustände mit der Zeit des Zusammenbruchs von Lehmann Brothers.

Es ist ein Horrorszenario, obwohl es die Europäische Zentralbank in ihrem Monatsbericht nicht so ausdrückt. Im am Donnerstag veröffentlichten Bericht ist von «einer schweren Störung der Märkte» Anfang Mai die Rede. Richtig aufhorchen lassen die Zeilen, in denen die EZB die Situation mit den Tagen nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 vergleicht. Darum wird klar: Den Anleihen-, Aktien und den Devisenmärkten drohte ein Riesengewitter.
So schreibt die EZB, dass sich die Lage am 6. und 7. Mai gefährlich verschlechtert habe. Dies gilt insbesondere für das Tempo, mit dem die Stimmung umschlug und die grossen Investoren in sichere Anlagen flüchteten.
Banken liehen sich kein Geld mehr
Tatsächlich hatte an jenem Wochenende im Mai der Vertrauensverlust vom Anleihe- auf den Interbankenmarkt übergegriffen. Vereinfacht bedeutet das: Die Banken haben einander nicht mehr in ausreichendem Mass Geld ausgeliehen, womit sich die liquiden Mittel in Rekordzeit verknappten.
Um das System zu stabilisieren, entschied sich die EZB in der Nacht auf den 10. Mai zum Tabubruch: Sie kaufte Staatspapiere von Euro-Ländern zusammen. Laut dem «Spiegel» hat die EZB bisher Anleihen im Wert von 47,1 Milliarden Euro erworben. Für ihren Eingriff in die Märkte und die übernommenen Risiken musste die EZB viel Kritik einstecken. Im Monatsbericht schreiben die EZB-Autoren jedoch, dass der Zentralbank gar nichts anderes übrig geblieben sei.
EZB befürchtete Crash zweier Banken
Laut dem Institut war die Wahrscheinlichkeit eines gleichzeitigen Zahlungsausfalls von zwei oder mehreren grossen Banken des Euro-Gebiets Anfang Mai sprunghaft angestiegen und überschritt dann sogar die Werte nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Welche Banken die EZB als Pleitekandidaten betrachtete, schreibt sie nicht. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass insbesondere die stark in griechischen Anleihen engagierten Institute – beispielsweise die deutsche Hypo Real Estate oder französische Banken – besonders gefährdet waren.
Beobachter sehen den Monatsbericht der EZB als untypisch dramatisch. Damit drängt sich die Frage auf, ob die Zentralbank die Geschehnisse derart extrem darstellt, um die eigenen Eingriffe zu rechtfertigen.
Finanzexperten halten den Monatsbericht aber nicht für übertrieben. So sei die Angst der Anleger am 7. und 8. Mai auf ein Niveau empor geschnellt, das für die Märkte bedrohlich werden könne, sagte der deutsche Bankenprofessor Hans-Peter Burghof.
Öffentliche Stresstests
Dass die Gefahr noch nicht wirklich gebannt ist, zeigt die Einigung der EU-Regierungschefs über die Veröffentlichung von Banken-Stresstestes vom Donnerstag. So wird spätestens Ende Juli dargelegt, wie krisensicher die 25 grössten europäischen Banken sind. Nicht eben viel Vertrauen schafft auch die Aussage von EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark. Gegenüber der «Zeit» sagte er: «Wir haben erneut die Situation, dass sich die Banken untereinander nicht vertrauen.»