GDI HandelstagDen Wachstums-Junkies geht der Stoff aus
Der renommierte US-Ökonom Robert J. Gordon prognostiziert das Ende des rapiden Wirtschaftswachstums. Auch die digitale Revolution werde die Geschichte nicht umschreiben.

Robert J. Gordon, Professor für Sozialwissenschaften an der US-amerikanischen Northwestern University, ist einer jener Köpfe, die ein düsteres Szenario für die Zukunft der Weltwirtschaft skizzieren.
Die Weltwirtschaft ist ein abgehalfterter Junkie, immer auf der Suche nach dem nächsten Schuss Wachstum. Doch was passiert, wenn die Drogenlabore nicht mehr produzieren, die Versorgung mit dem süssen Stoff lahmt, wenn der kalte Entzug unabwendbar ist? Die Organe versagen, das System bricht zusammen, der Süchtige stirbt.
Nicht erst seit gestern stellen sich Ökonomen rund um den Globus die Mutter aller Fragen: Nämlich jene, ob die Grenzen des Wachstums bereits erreicht sind? Waren es bis anhin ökologische und soziale Bedenken, die die Ökonomen veranlassten, die klassischen Wachstumsmodelle infrage zu stellen, gesellt sich nun ein dritter Aspekt hinzu, der von weit grösserer Tragweite scheint, als bisher angenommen.
Es wird von der Annahme ausgegangen, dass die dritte industrielle Revolution, nämlich die digitale, ein eher laues Lüftchen ist im Vergleich zu ihren älteren Schwestern. Robert J. Gordon, Professor für Sozialwissenschaften an der US-amerikanischen Northwestern University, ist einer jener Köpfe, die ein düsteres Szenario für die Zukunft der Weltwirtschaft skizzieren.
Dampfmaschine versus iPad
Gordon vertritt die provokative These, wonach die digitale Revolution nicht das Wachstumspotenzial der beiden industriellen Revolutionen der vergangenen 250 Jahre habe. Die technologischen Erneuerungen mögen zwar unseren Alltag spürbar verändern, aber auf die wirtschaftliche Wachstumsrate wirkten sie schwächer als Entdeckungen und Erfindungen wie die Dampfmaschine, der elektrische Strom, der Verbrennungsmotor, der Kühlschrank, die Waschmaschine oder fliessend Wasser, erklärte Gordon letzte Woche in seinem Referat an der internationalen Handelstagung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI).
Der amerikanische Ökonom kommt in seiner im September 2012 veröffentlichten Studie «Is US Economic Growth Over?» zum Schluss, dass das Wirtschaftswachstum in den USA – und auch in den meisten anderen Industrieländern – mittelfristig unter ein Prozent pro Jahr fallen und langfristig zum Stillstand kommen werde.
«In den 116 Jahren von 1891 bis 2007 lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Wachstum bei 2 Prozent», so Gordon. Dies werde sich nicht wiederholen. «Unglücklicherweise weisen die Indizien darauf hin, dass das künftige wirtschaftliche Wachstum bestenfalls die Hälfte dieser historischen Rate beträgt», schreibt er in einem Beitrag für das «Wall Street Journal».
In seiner Studie hat Gordon das Pro-Kopf-Einkommen der vergangenen drei Jahrhunderte – hauptsächlich der USA und Grossbritanniens – analysiert. Er kam zum Schluss, dass das wirtschaftliche Wachstum ab 1700 allmählich, ab 1900 aber sprunghaft gestiegen sei und Mitte des 20. Jahrhunderts sein Maximum erreicht habe. Seither nehmen die Wachstumsraten laut Gordon kontinuierlich immer schneller ab.
Digitale Revolution vorbei
Ist die digitale Revolution also wirklich ein laues Lüftchen? Im Gespräch mit GDI Impuls sagt Gordon: «Wenn man den Wert von Innovationen daran misst, wie sehr sie zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität beitragen: Ja, sie sind weniger wertvoll.»
Im seinem für das «Wall Street Journal» verfassten Beitrag wird der Ökonom deutlich und erklärt die Blütezeit der digitalen Revolution für beendet: «Der Höhepunkt der Hochzeit zwischen Kommunikation und Computer war erreicht, als sich ab den 1990er Jahren das Internet verbreitete. Amazon wurde 1994 gegründet, Google 1998 und Wikipedia 2001.»
Seit 2002 allerdings, so Gordon weiter, führten die meisten Computerinnovationen nicht mehr zu fundamentalen Transformationen, sondern zur Miniaturisierung – so wie bei Smartphones, welche die Fähigkeiten von Laptops vor dem Jahre 2002 mit Fähigkeiten von Mobiltelefonen verbinden. Ob 3-D-Drucker oder Mikroroboter: Letztlich sei das eine alte Geschichte, die in dieser oder jener Form immer wieder erzählt werde, hielt er in seinem Referat am GDI fest. Überdies ortet Gordon immer weniger Fortschritt in der Medizin, ebenso sei die Fracking-Revolution und die damit verbundene steigende Förderung von Öl und Gas nicht die Quelle vernünftigen Wachstums.
Freilich, Gordon ist, wie er von sich selbst sagt, ein Pessimist – aber im besten Sinne auch ein weitsichtiger Zweifler: «Ich sage kein Ende der Innovationen voraus, sondern eine sinkende Nützlichkeit künftiger Erfindungen im Vergleich zu den grossartigen Erfindungen der Vergangenheit.»
Der Stoff geht aus
Gordons Berechnungen gelten hauptsächlich für die USA, dennoch lässt sich das Modell des Ökonomen auch auf Europa übertragen. Zwar gelte die Beobachtung, dass Innovationen heute unwichtiger sind, tatsächlich für alle Länder.
Allerdings könnten sich jeweils unterschiedliche Wachstumspotenziale ergeben, ist sich Gordon sicher. «Europa beispielsweise hat sich den Innovationen der Informationstechnologie der letzten zwei Jahrzehnte nur sehr zögerlich geöffnet – deshalb gibt es dort bei der Umsetzung dieser Innovationen noch ein vergleichsweise hohes Wachstumspotenzial.»
Klar ist: Auch in Europa wird sich das Wachstum verlangsamen, das stehe fest, meint Gordon. Und was dann, wenn der Weltwirtschaft der Stoff ausgeht?