Jugendliche erzählenDie harzige Suche nach der passenden Lehrstelle
In der Schweiz bleiben Tausende Lehrstellen unbesetzt. Dennoch ist es für viele Junge schwierig, den Traum-Ausbildungsplatz zu finden. Betroffene erzählen.
Die Zahlen suggerieren paradiesische Zustände für junge Lehrstellensuchende: Per April 2017 sind in der Schweiz hochgerechnet 23'500 Lehrstellen noch zu haben. Das Angebot übertreffe die Nachfrage seitens der Jugendlichen, heisst es im neusten Lehrstellenbarometer.
Dennoch ist es für viele Jugendliche aus der Schweiz schwierig, eine passende Lehrstelle zu finden. Drei Betroffene haben 20 Minuten von ihren Erfahrungen erzählt.
Zeynep, 19, aus Bern: «‹Wir wollen Eidgenossinnen›, sagten sie mir»
«Ich habe mich mega geärgert, als ich gelesen habe, dass die Betriebe viele Lehrstellen nicht besetzen können. Meine Erfahrungen mit der Lehrstellensuche sind sehr schlecht. Ich bin Schweizerin mit türkischer Abstammung. Nach der Sek wollte ich das KV machen und habe etwa 30 Bewerbungen geschrieben. Es kamen nur Absagen. Irgendwann habe ich angefangen, bei den Firmen nach dem Grund zu fragen. Ein paar Mal hiess es tatsächlich: ‹Wir wollen Eidgenossinen, keine Ausländerinnen.› Frustriert entschied ich mich dann für eine Lehre im Detailhandel. Auch in dieser Branche war die Suche extrem schwierig. Als Schülerin mit guten Noten fragte ich mich irgendwann, warum mir die Betriebe keine Chance geben wollen. In letzter Minute hat es dann doch noch geklappt: Zwei Wochen vor Schulabschluss und nachdem ich etwa 40 Bewerbungen geschrieben hatte, fand ich eine Lehrstelle als Detailhandelsfachfrau.»
Daniel*, 21, aus Zürich: «Warum bevorzugen sie Schulabgänger?»
«Ich habe letzten August die zweijährige EBA-Lehre als Informatikpraktiker mit der Note 5,2 abgeschlossen. Jetzt würde ich gern die Informatiker-Lehre EFZ anhängen. Doch ich finde einfach keinen Ausbildungsplatz. Ich wurde zwar zu mehreren Vorstellungsgesprächen eingeladen, aber immer sagte man mir ab. Die Begründung: Man bevorzuge Schulabgänger frisch ab der Sek. Das geht mir einfach nicht in den Kopf: Warum geben die Betriebe nicht jemandem eine Chance, der schon IT-Erfahrung hat? Jetzt arbeite ich temporär als Supporter und bin sogar gut bezahlt. Trotzdem will ich unbedingt die Informatiker-Lehre EFZ machen weil ich sicher bin, dass ich eine Karriere in der IT machen will. Ich hoffe, es klappt bald mit einer Lehrstelle.»
Martin*, 18, aus Luzern: «Mit schlechten Noten hat man nur wenig Chancen»
«Ich versuche seit einem Jahr vergeblich, eine Lehrstelle zu finden. Ich habe nach der obligatorischen Schulzeit ein Praktikum als Fachmann Betreuung in einer Krippe gemacht, konnte aufgrund der Kündigung der Lehrlingsbetreuerin aber anschliessend keine Lehrstelle antreten. Deshalb ging ich zur Berufsberatung und konnte nochmals in einige Berufe reinschnuppern. Da entdeckte ich, wie viel Freude mir der Beruf als Ziergärtner macht. Ich habe mich ab dann nur noch als Ziergärtner beworben. Aber leider hat es bis jetzt nicht geklappt. Ich bin immer sehr nervös bei den Vorstellungsgesprächen – es geht schliesslich um sehr viel. Ich habe zum Teil einfach Angst, etwas Falsches zu sagen. Ich hatte in der Schule keine guten Noten, was ich nun sehr bereue. Doch die Lehrbetriebe geben einer Person nur selten eine Chance, wenn sie nicht sehr gute Noten hat. Ich kann und will jedoch arbeiten und eine gute Lehre absolvieren – hoffentlich gibt mir bald jemand diese Chance.»
*Name von der Redaktion geändert
Den ersten Teil der 20-Minuten-Serie «Deine Lehre» finden Sie hier.
Noch keine Lehrstelle? Die besten Tipps
Was können Jugendliche tun, wenn es mit der Traum-Lehrstelle nicht klappen will? Die Experten des Lehrstellenportals Yousty geben Tipps:
Nicht zu fixiert sein
Träume sind wichtig, auch bei der Berufswahl. Bei der Lehrstellensuche sollte man sich aber nicht ausschliesslich auf die Traum-Lehrstelle fixieren. «Die Jugendlichen beschränken sich auf immer weniger Lehrberufe und haben keinen Plan B», beobachtet Domenica Mauch von Yousty.
Horizont erweitern
Hilfreich kann sein, sich zu fragen: Gibt es einen anderen Beruf, der mir entspricht? Hierfür gibt es verschiedene Online-Berufsfinder, die passende Berufsfelder vorschlagen.
Zeit gewinnen
Wer noch keine Lehrstelle hat, kann mit einem Zwischenjahr Zeit gewinnen. Es gibt in der Schweiz zahlreiche Möglichkeiten, etwa das 10. Schuljahr oder ein Auslands, Praktikums- oder Sozialjahr. «Dabei sollte man aber nicht vergessen, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen und sich ab Herbst wieder für Lehrstellen zu bewerben», rät Mauch.
Bessere Bewerbungen
Eine gute Bewerbung ist das A&O, um die Aufmerksamkeit einer Firma zu erlangen. Besonders wichtig ist, dass die Bewerbung fehlerfrei, sauber und komplett ist. Details sind enorm wichtig, etwa das Bewerbungsfoto: «Bitte kein Selfie oder Ferienfoto», so Lehrstellenexpertin Mauch. Auch online finden sich zahlreiche Tipps für eine perfekte Bewerbung.
Dranbleiben
Viele Unternehmen vergeben Lehrstellen bis Ende Juli, einige sogar noch im August. «Deshalb gilt: Den Mut nicht verlieren», sagt Mauch.
(vb)
Serie «Deine Lehre»
In der Schweiz sind hochgerechnet 23'500 Lehrstellen noch nicht besetzt. 20 Minuten widmet dem Thema eine mehrteilige Serie und lässt in den kommenden Tagen verschiedene Akteure zu Wort kommen – vom Lehrmeister, der vergeblich nach passenden Kandidaten sucht bis zum Jugendlichen, der trotz des Überangebots an Ausbildungsplätzen keine Stelle findet.