EU werkelt am Zwei-Klassen-Internet

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NetzneutralitätEU werkelt am Zwei-Klassen-Internet

Nach dem Willen der EU dürfen Internet-Provider künftig Inhalte von Google, Facebook, Spotify & Co. bevorzugt behandeln. Netzaktivisten sehen die Netzneutralität in Gefahr.

Sven Zaugg
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Sven Zaugg
Die neue Regelung findet sich in einem Entwurf der EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Neelie Kroes.

Die neue Regelung findet sich in einem Entwurf der EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Neelie Kroes.

Das Internet wird zur Zweiklassen-Gesellschaft. Das zumindest sagen Netzaktivisten als Reaktion auf den jüngsten Entscheid der Europäischen Kommission. Die Brüsseler Behörden wollen Telekommunikationsfirmen künftig erlauben, einzelne Inhalte im Internet gegen Bezahlung schneller oder in besserer Qualität zu transportieren.

«Inhaltanbieter und Telekommunikationsprovider sind frei, miteinander Vereinbarungen zum Umgang mit Volumentarifen der Kunden und der Übertragung von Daten unterschiedlicher Qualitätsklassen zu schliessen», lautet die Passage im Entwurf der EU-Kommission.

Beobachter sehen mit den Brüsseler Plänen bereits das Ende der Netzneutralität aufziehen. So auch Denis Simonet, Pressesprecher der Piratenpartei Schweiz: «Wenn Internetprovidern erlaubt wird, bestimmte Inhalte bevorzugt zu übermitteln, wird die Netzneutralität ausgehebelt.» Es dürfe nicht sein, dass der Staat oder die Wirtschaft darüber bestimmen, wie Daten transportiert werden – oder wie wir untereinander kommunizieren, sagt Simonet im Gespräch mit 20 Minuten.

Drohende Diskriminierung von Daten

Die neue Regelung findet sich in einem Entwurf der EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Neelie Kroes. Netzneutralität wird demnach nur als Freiheit der Nutzer definiert, «Informationen und Inhalte zu erlangen und zu verbreiten, Anwendungen und Dienste ihrer Wahl zu nutzen».

Netzaktivisten wie der Chaos Computer Club sehen das anders: «Die Einschränkung der Netzneutralität aus kommerziellen oder rechtlichen Gründen und die damit einhergehende Diskriminierung von Daten birgt grosse Gefahren für die Freiheiten im Internet», halten die Netzaktivisten auf ihrer Homepage fest.

«Grosses Geschäft auf Kosten der User»

Denis Simonet gibt zu bedenken, dass bei fehlender Neutralität bestimmte Produkte oder Dienste auch vollständig blockiert werden könnten. Die Konsequenz: Für kleinere Firmen, Startups oder Open-Source-Projekte wird es schwieriger, von der Usern wahrgenommen zu werden. Den Telekom-Riesen, die seit Jahren über sinkende Margen klagen, kann das nur recht sein. «Sie wittern das grosse Geschäft, auf Kosten der User», kritisiert Simonet.

Die Diskussion um Netzneutralität war zuletzt aufgeflammt, als die Deutsche Telekom ankündigte, in Zukunft die Übertragungsgeschwindigkeit ihrer Internetanschlüsse drosseln zu wollen, wenn Nutzer zu viele Daten aus dem Internet laden. Die Telekom-Unternehmen wollen künftig indes verstärkt verschiedene Transportklassen zu unterschiedlichen Preisen anbieten.

Google, Microsoft und Facebook bevorzugt

In der Schweiz arbeitet Orange bereits mit den Musikdienst Spotify zusammen. Mit dem Abonnement «Spotify Premium» kann der Orange-Kunde direkt auf Millionen von Songs zugreifen, ohne das eigene (mobile) Datenvolumen zu belasten. Die Musikdaten werden demnach anders behandelt als andere Daten. Die Verquickung von Internet-Diensten und -Providern bezeichnet Simonet als Diskriminierung, weil einzelne Dienste bevorzugt werden.

In den USA bezahlen Google, Microsoft und Facebook Millionen von Dollar an Telekom-Riesen, damit ihre Daten bevorzugt durchgeleitet werden. Dies berichtete unlängst das «Wall Street Journal» unter Berufung auf gut informierte Kreise.

Netzneutralität gesetzlich verankern

Die Netzneutralität beschäftigt auch das Schweizer Parlament: Nationalrat Balthasar Glättli von den Grünen beauftragte in einer im Dezember 2012 eingereichten Motion den Bundesrat, «in der geplanten Teilrevision des Fernmeldegesetzes die Netzneutralität gesetzlich zu verankern, um einen transparenten und diskriminierungsfreien Datentransfer über das Internet zu gewährleisten».

Begründung: «Der technologische Fortschritt macht es Anbietern öffentlicher elektronischer Kommunikationsnetzwerke (Zugangsprovidern) heute möglich, den Internetverkehr aktiv zu steuern. Damit ist nicht mehr gewährleistet, dass alle Daten gleich behandelt werden.» Noch wurde die Motion nicht behandelt. Nach dem jüngsten Ansinnen der EU-Kommission und dem Aufschrei der Netzaktivisten ist jedoch damit zu rechnen, dass die drohende Zweiklassen-Gesellschaft im Internet bald ganz oben auf der Traktandenliste steht.

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