Rauer WindFrauen geben Chefposten schneller auf
Frauen schmeissen ihren Chefposten schneller wieder hin als Männer. Das Klima an der Firmenspitze sei ihnen zu hart, sagt ein Unternehmensberater – zum Ärger des Verbandes berufstätiger Frauen.

Die Managerinnen Thorid Klantschitsch (links) und Isabelle Welton.
Die Fluktuation unter weiblichen Führungspersonen in der Schweiz ist deutlich höher als bei männlichen. In den vergangenen zwei Jahren blieben Frauen durchschnittlich vier Jahre auf dem Chefsessel – ein ganzes Jahr weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist das Ergebnis des diesjährigen «schillingreport», der jährlich Daten zur Zusammensetzung der Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Unternehmen präsentiert.
Ein Beispiel ist Isabelle Welton. Sie war Chefin der Schweizer Niederlassung von IBM – für zwei Jahre. Seit Januar 2013 leitet sie die Marketingabteilung des Versicherers Zurich. Ein ähnlich kurzes Intermezzo legte Thorid Klantschitsch beim Fleischverarbeiter Bell hin: Nach ihrem Antritt als Geschäftsführerin anfangs 2010 verliess sie das Unternehmen Mitte 2011 schon wieder.
Mehr Widerstandskraft gefordert
«Weibliche Chefs geben leider zu früh auf», sagt Guido Schilling vom gleichnamigen Executive-Search-Unternehmen. Seine Begründung: Der Wind in der Teppichetage sei den Frauen oft zu rau. Darum müssten weibliche Führungskräfte widerstandsfähiger werden, mehr Biss an den Tag legen – «und nicht so viele Aussagen ihrer männlichen Kollegen zu persönlich nehmen», so Schilling.
Solche Äusserungen hält Monique Ryser, Präsidentin der Vereinigung Business & Professional Women (BPW), für problematisch. «Sie unterstellt den Frauen Schwäche.» Für Ryser liegt der Grund für das frühe Ausscheiden von Frauen aus Führungsjobs am System an sich. «Wer sagt denn, dass es in der Chefetage hart zu und her gehen muss? Das sind althergebrachte Strukturen, die dringend geändert werden müssen.»
Frauen brauchen dickere Haut
Ein weiterer Grund, warum sich viele Frauen bis heute nicht wohl in Führungsgremien fühlen, ist ihre unterschiedliche Arbeitskultur. «Sie fällen ihre Entscheidungen wertorientiert und fragen sich: ‹Zu was führts?›, während Männer resultatorientiert entscheiden und sich fragen: ‹Was bringts?›», erklärt Schilling. Zudem wüssten Frauen oft wenig mit den Machtkämpfen der Männer anzufangen.
Ganz aus der Verantwortung stehlen dürfen sich die Frauen trotzdem nicht. «Manchmal würde es tatsächlich nicht schaden, wenn sie sich eine dickere Haut zulegen würden», räumt BPW-Präsidentin Ryser ein. Gleichzeitig fordert sie: «Die Männer sollten dafür sorgen, dass sich ihre weiblichen Kolleginnen in der Führungsetage wohler fühlen – beispielsweise, indem sie ihnen mehr zuhören.»
Das bestätigt Headhunter Schilling: «Die Männer müssen sich bewusst sein, dass Frauen ihre Aussagen näher gehen als den männlichen Kollegen – und entsprechend handeln.»
«Warum tue ich mir das an?»
Bei seiner Arbeit beobachtet der Headhunter zwei Phänomene. Wenn das Klima an der Spitze rauer wird, wechseln Führungsfrauen gerne den Job und übernehmen eine Leitungsfunktion in einem kleineren Unternehmen. Oder sie machen sich selbstständig, wie das beispielsweise Antoinette Hunziker getan hat.
Sie war Vorsitzende der Schweizer Börse und Konzernleitungsmitglied bei der Privatbank Julius Bär – bis sie im Jahr 2006 ihre eigene Firma gründete, die sich auf nachhaltige Investments spezialisiert. Dieser Fall sei exemplarisch für viele Schweizer Führungsfrauen, sagt Schilling. «Irgendwann fragen sie sich: ‹Warum tue ich mir das an?› Dann übernehmen sie vielfach einen Job, der ihren weiblichen Werten mehr entspricht.»
Replik von Dr. Thorid Klantschitsch
Profilierung auf Kosten der Frauen
Frauen, die es aus eigener Kraft in eine Führungsetage schaffen, besitzen in jedem Fall Durchsetzungsvermögen mit einer gehörigen Portion Biss. Dies ist ernsthaft wohl nicht zu bestreiten. Dennoch kommt der Schillingreport erstaunlicherweise zu einem gegenteiligen Schluss. Wie ist dies möglich?
Bei eingehender Beschäftigung mit dieser Studie wird offenkundig, dass dem Verfasser Guido Schilling, ein gravierender und alles entscheidender Fehler unterlaufen ist. Bei den 100 untersuchten Firmen waren in den vergangenen Jahren durchschnittlich nur drei bis vier Frauen als CEO tätig. Mit anderen Worten: 97 Männer standen zum Vergleich ganzen 3 Frauen gegenüber. Eine äusserst geringe und somit nicht repräsentative Anzahl, von der sich so gut wie gar nichts ableiten lässt. Der Verfasser tut dies trotzdem und behauptet an der Pressekonferenz aus der Luft gegriffen, Frauen geben ihre Chefposten schneller auf, hätten zu wenig Biss, seien zu empfindlich, vertrügen das raue Klima in den Führungsetagen nicht etc. Dies ist gewiss unzutreffend und alles andere als seriös untersucht.
Bedauerlicherweise hat sich der Verfasser nicht der Mühe unterzogen und nachgefragt, warum die drei hochkarätigen Frauen, Isabelle Welton, Antoinette Hunziker und Thorid Klantschitsch die Stelle gewechselt resp. aufgegeben haben. Er hätte nämlich festgestellt, dass seine oben genannten Behauptungen in keiner Weise auf diese Personen zutreffen. Ein Wechsel des Konzernchefs, unseriöse und nicht länger vertretbare Geschäftspraktiken sowie das Vorliegen eines attraktiven Angebots sind die wahren Ursachen. Nota bene alles Gründe, die auch Männer zum Stellenwechsel veranlasst hätten.
Die Studie in Verbindung mit den Aussagen des Verfassers an der Pressekonferenz, hat dennoch eine Wirkung: Die ohnehin geringen Chancen von Frauen, sich in Chefetagen etablieren zu können, werden zusätzlich massiv vermindert. Ob dies beabsichtigt war, sei an dieser Stelle offen gelassen.
Dr. Thorid Klantschitsch
11. Juni 2013