Früher Feierabend – gleich viel verdienen

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Schweden pröbeltFrüher Feierabend – gleich viel verdienen

Bei vollem Lohn sechs Stunden arbeiten: Das dürfen Angestellte der Stadt Göteborg. Die Hoffnung: weniger Krankheitstage und besserer Arbeitseinsatz. Auch die Schweizer arbeiten immer weniger.

S. Spaeth
von
S. Spaeth
Durch mehr Freizeit sollen Angestellte bei der Arbeit produktiver sein.

Durch mehr Freizeit sollen Angestellte bei der Arbeit produktiver sein.

Die Schweizer Bevölkerung arbeitet im Schnitt rund 42 Stunden pro Woche, die Schweden nur 35 Stunden. Noch angenehmer hat es bald ein Teil der städtischen Angestellten von Schwedens zweitgrösster Metropole Göteborg. Sie arbeiten während eines einjährigen Experiments pro Tag sechs Stunden – bei vollem Lohn. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt somit lediglich 30 Stunden.

«Es ist an der Zeit, dieser Idee in Schweden eine echte Chance zu geben», sagte der stellvertretende Bürgermeister Mats Pilhem von der linken Vänsterpartiet der schwedischen Zeitung «The Local». Beim Versuch wird ein Teil der Verwaltung pro Tag sechs Stunden arbeiten, während die anderen ihre bisherige Arbeitszeit von sieben Stunden beibehalten. Nach dem Experiment werden die beiden Gruppen verglichen. Die Hoffnung: Durch die reduzierte Arbeitsbelastung sollen die Angestellten weniger krankheitsbedingt abwesend und produktiver sein. Sprich: pro Arbeitsstunde mehr Output liefern.

Überlange Schichten sind ineffizient

«Theoretisch steigt die Produktivität, wenn man weniger arbeitet», sagt Arbeitsmarktökonom Michael Siegenthaler von der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.. Ob allerdings der Output bei einer um eine Stunde reduzierten Arbeitszeit gleich gross bleibe, sei fraglich. Die Folge: Es bräuchte mehr Arbeitskräfte, was zu höheren Lohnkosten führen könnte. Kleiner wäre der Verlust laut Siegentaler allenfalls, wenn der Arbeitsprozess vorher ineffizient war.

«Wir hoffen dass die Leute sich bei kürzeren Arbeitszeiten physisch und psychisch besser fühlen», so Politiker Pilhem. Er verweist auf Pflegeberufe, bei denen überlange Schichten zu ineffizientem Arbeiten führen. Zudem hat laut dem Politiker kürzlich Volvo in Schweden mit Erfolg die 6-Stunden-Methode getestet.

Schweizer arbeiten immer weniger

Das Experiment mit der 30-Stunden-Woche wurde bereits in verschiedenen Ländern diskutiert. Dass es nun in Schweden wieder aufs Tapet kommt, ist kein Zufall: In den skandinavischen Ländern ist man erstens mehr auf sozialen Ausgleich bedacht als andernorts, zweitens sind die Länder vergleichsweise wohlhabend. Norwegen liegt im weltweiten Ranking der Wirtschaftsleistung pro Kopf auf Rang 3, Dänemark auf Rang 6, Schweden auf Rang 7. Zum Vergleich: Die Schweiz liegt auf Rang 4. «In reichen Ländern wird pro Stunde ein höheres Einkommen erzielt, weshalb sich ein Arbeitnehmer eine Reduktion eher leisten kann», so Siegenthaler.

Und wie würden sich kürzere Arbeitszeiten auf die Schweiz auswirken? Geschieht die Reduktion freiwillig, sieht es Siegenthaler positiv. «Wenn die Menschen ihr Arbeitspensum freiwillig auf 80 Prozent reduzieren und über mehr Freizeit verfügen, bedeutet dies aus Sicht der Gesellschaft einen Gewinn an Lebensqualität.» Anders gesagt: Man kann sich Freizeit auch leisten wollen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die jährliche Arbeitszeit in der Schweiz um ein Drittel auf 1600 Stunden verringert. Die wöchentliche Arbeitszeit hat sich von 50 auf 42 Stunden reduziert, während die Anzahl bezahlter Ferien von zwei auf vier bis fünf Wochen gestiegen ist. Wirtschaftlich hat sich die Schweiz dennoch prächtig entwickelt. Siegenthaler erklärt es mit dem Einsatz von Maschinen und Computern. Dadurch hat der Output pro Arbeitsstunde – die Arbeitsproduktivität – zugenommen.

«Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen»

Die Arbeit auf mehr Personen zu verteilen, hat Frankreich versucht. 1998 war unter dem damaligen sozialistischen Premier Lionel Jospin die 35-Stunden-Woche eingeführt worden. Der Erfolg war bescheiden: Die Anzahl der Beschäftigten stieg nur wenig, das Wirtschaftswachstum blieb aus und die französischen Firmen büssten an Wettbewerbsfähigkeit ein.

Entsprechend laut waren die Kritiker. «Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen», war einer der Wahlslogans des späteren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Er sah in der reduzierten Arbeitsstundenanzahl einen der Hauptgründe für das schleppende Wirtschaftswachstum. Auch weil Firmen drohten, ihre Arbeitsplätze aus Frankreich abzuziehen, wurde das Gesetz ausgehöhlt und Firmen die Möglichkeit gegeben, mit ihren Arbeitnehmern längere Arbeitszeiten zu vereinbaren.

Den Misserfolg des Modells in Frankreich begründet Arbeitsmarktökonom Siegenthaler so: «Die frei gewordenen Arbeitsstunden wurden nicht durch neue Angestellte kompensiert, sondern durch Automation», sagt Siegenthaler. Damit habe die Massnahme von Lionel Jospin ihre Wirkung verfehlt. Es ist kein Zufall, dass die französischen Detailhändler schon früh auf Self-Scanning statt Kassiererinnen setzten, während dies in der Schweiz erst allmählich geschieht.

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