KOF-PrognoseHerr Sturm, wie schlimm wird die Rezession?
Laut Konjunkturforscher Jan-Egbert Sturm gerät die Schweiz in eine Rezession. Sie könnte Tausende von Jobs zerstören. Im Interview äussert sich der Experte zu den Aussichten.

Jan-Egbert Sturm von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zuerich erklärt, weshalb er für kommenden Sommer von einer Rezession ausgeht.
Herr Sturm, sie prognostizieren eine Rezession. Wie schlimm wirds jetzt?
Das kommt auf die Branche an. Am stärksten betroffen ist der Exportsektor. Damit meine ich auch den Dienstleistungsbereich und somit den Tourismus. Die Exporte werden in diesem Jahr um 1,4 Prozent zurückgehen. Für die Gesamtwirtschaft der Schweiz gehen wir von einer Schrumpfung des Bruttoinlandprodukts um 0,5 Prozent aus.
Kommt es jetzt zu Massenentlassungen?
Wir prognostizieren, dass die Arbeitslosigkeit in der Schweiz bis ins Jahr 2016 von heute ungefähr 3,2 Prozent auf 4,1 Prozent steigen wird. Der Grund: In der exportorientierten Wirtschaft werden Jobs abgebaut werden. Die angespannte Lage bei den Firmen führt zu Einkommensrückgängen und Steuerausfällen. Daher werden auch binnenorientierte Bereiche wie zum Beispiel die öffentliche Verwaltung und das Bildungs- und Gesundheitswesen weniger neue Stellen schaffen können als in der Vergangenheit.
Gestern entschied der Bundesrat, Kurzarbeits-entschädigungen auch aufgrund der Frankenstärke auszubezahlen. Bringt das nichts?
Insofern hiermit eine temporäre Aufwertung überbrückt werden kann, kann die Massnahme sicherlich nützen. In unserer Prognose haben wir einen anhaltend starken Schweizer Franken angenommen. Eine Strukturanpassung wäre damit auch notwendig. Kurzarbeit verzögert Letzteres, kann allerdings trotzdem sozial wünschenswert sein. Insgesamt gilt, dass die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt zeitverzögert eintreten. Die Arbeitslosigkeit ist also dann am höchsten, wenn die Rezession hoffentlich schon wieder vorbei ist.
Wie wichtig ist der Wechselkurs?
Für unsere Berechnungen gehen wir davon aus, dass sich der Kurs von nun an etwa im Bereich der Parität bewegen wird. Durch die noch unklare Entwicklung des Euro-Franken-Kurses ist diese Prognose daher mit Unsicherheiten behaftet.
Könnte der Schweizer Wirtschaft der tiefe Ölpreis helfen?
Der tiefe Ölpreis hilft der Konjunktur in Europa, was auch der Schweiz helfen wird. Allerdings gibt es möglicherweise auch negative Auswirkungen auf die Schweiz, da der internationale Handel mit Öl grösstenteils über Schweizer Rohstofffirmen abgewickelt wird.
Und wann genau erholt sich die Wirtschaft wieder?
Das ist schwierig zu sagen und hängt immer auch von der weiteren Entwicklung der Wechselkurse ab. Geht man davon aus, dass diese in etwa konstant bleiben, wird die Wirtschaft bereits Ende 2015 oder Anfang 2016 nicht weiter schrumpfen.
Wie lautet denn ihre Prognose für 2016?
Wir gehen für das kommende Jahr von einer Stagnation, also einem Nullwachstum aus. Eine Rolle spielt dabei auch das Verhalten der Firmen. Sie werden sich einer Rosskur unterziehen und sich den neuen Bedingungen anpassen müssen. Die Frage lautet hier: Wie schnell gelingt ihnen das?
40'000 Personen mehr beim RAV
Die Arbeitslosenquote in der Schweiz beträgt derzeit etwa 3,2 Prozent. Damit sind insgesamt etwa 136'500 Personen bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) registriert. Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich erklärt nun, dass die Arbeitslosigkeit in der Schweiz bis 2016 auf 4,1 Prozent zunehmen werde. Das entspricht etwa einem Plus von 37'000-40'000 zusätzlichen Arbeitslosen. Stellen dürften aber insgesamt noch mehr abgebaut werden. Das KOF sagt auf Anfrage von 20 Minuten: «Ein substanzieller Teil des Rückgangs der Beschäftigung dürfte nebst den Entlassungen zum Beispiel in Form von Reduzierung von Arbeitspensen, Kurzarbeit und nicht Besetzung von vakant gewordenen Stellen erfolgen.»
Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm leitet die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Er ist dort als Professor für angewandte Makroökonomie angestellt. Seine Ausbildung absolvierte er bis zum Abschluss des Doktortitels an der Universität Groningen in den Niederlanden. Er gibt unter anderem die Zeitschrift «European Journal of Political Economy» mit heraus und ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).