«10'000-Fr-Franchise ist ein Befreiungsschlag»

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Krankenkassen-Prämien«10'000-Fr-Franchise ist ein Befreiungsschlag»

Die CSS-Chefin hat die Debatte über eine Mindestfranchise von 10'000 Franken lanciert. Comparis-Krankenkassenexperte Felix Schneuwly sagt, was hinter dem brisanten Vorschlag steckt.

von
S. Spaeth
In der Schweiz erhält rund ein Drittel der Bevölkerung Prämienverbilligungen. «Für die Krankenkassen wird das allmählich zum Problem, denn das System der mit Prämien finanzierten Versicherung schafft sich sozusagen selbst ab», sagt Krankenkassen-Experte Felix Schneuwly vom Vergleichsdienst Comparis.
«Die Schmerzgrenze bei der Tragbarkeit der Prämien ist erreicht», sagt die Chefin der Krankenkasse CSS, Philomena Colatrella.
Die CSS-Chefin schlägt daher eine Mindestfranchise von 5000 bis 10'000 Franken vor.
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In der Schweiz erhält rund ein Drittel der Bevölkerung Prämienverbilligungen. «Für die Krankenkassen wird das allmählich zum Problem, denn das System der mit Prämien finanzierten Versicherung schafft sich sozusagen selbst ab», sagt Krankenkassen-Experte Felix Schneuwly vom Vergleichsdienst Comparis.

20 Minuten

Herr Schneuwly, CSS-Chefin Philomena Colatrella hat die Idee einer Franchise von 5000 bis 10'000 Franken lanciert. Ist das der Ernst einer Topmanagerin? Oder zeigt es einmal mehr, dass viele CEOs kein politisches Gespür haben?

Es ist eine sehr provokante Idee, die viel sozialen Sprengstoff bietet. Die CSS wird eine Menge böse Mails erhalten. Klar ist, es gibt keine einzelne Idee, die das Problem der steigenden Gesundheitsausgaben löst. Aber manchmal muss man provozieren, um eine Idee zu lancieren. Relevant ist ja nicht, wie hoch Franchisen sein dürfen, sondern wie viel Rabatt man bekommt.

Was steckt hinter der Provokation?

In der Schweiz erhält rund ein Drittel der Bevölkerung Prämienverbilligungen. Für die Krankenkassen wird das allmählich zum Problem, denn das System der mit Prämien finanzierten Versicherung schafft sich sozusagen selbst ab.

Dann ist das auch ein Hilferuf der Krankenversicherer?

Die Frage ist, wohin sich unser System entwickeln soll. Ist es Richtung über Steuern finanzierte medizinische Versorgung oder bleibt es beim Versicherungssystem? Mit stetig steigenden Gesundheitskosten können immer weniger Leute die Prämie selbst bezahlen. Der von der CSS-Chefin lancierte Vorschlag ist ein Befreiungsschlag fürs System, weil die Prämien günstiger würden.

Das tönt doch attraktiv.

Ja, man sollte die Idee mindestens zu Ende denken. Anstatt immer mehr Geld für Prämienverbilligungen auszugeben, kann man sich überlegen, bei höheren Franchisen und tieferen Prämien den sozial Schwächeren statt Prämienverbilligungen den Arzt zu bezahlen. So besteht die Hoffnung, dass der staatliche Franken dort eingesetzt wird, wo Leute die medizinische Versorgung tatsächlich nicht bezahlen können. Derzeit haben wir mit den Prämienverbilligungen zu viel Giesskannenprinzip.

Die CSS sagt, laut ihrer Analyse würde die hohe Wahlfranchise eine Milliarde Franken Einsparungen bringen. Sehen Sie das auch so?

Es ist davon auszugehen, dass die Versicherten bei Bagatellen weniger oft zum Arzt gehen würden. Ich zweifle allerdings an der Höhe der möglichen Einsparungen. Der Grund: Weil gewisse Leute zu spät den Arzt aufsuchen, werden Krankheiten verschleppt, was schliesslich höhere Kosten verursacht. Man könnte im Gegenzug die Kostenbeteiligung für chronisch Kranke senken.

Wo sehen Sie die Risiken für die Versicherten?

Wer eine Wahlfranchise hat, muss das gesparte Geld auf die Seite legen, um den Arzt oder das Spital bei Bedarf dann selbst bezahlen zu können. Eine Familie mit zwei Kindern im Teenager-Alter bräuchte 40'000 Franken auf der hohen Kante. Eine derart hohe Franchise ist also nur für ganz Gesunde und Reiche interessant. Und auch nur dann, wenn die Prämienrabatte hoch genug sind.

Wie sehen Sie die politischen Chancen für eine höhere Wahlfranchise?

Die politischen Chancen sind null. Es wäre eine Steilvorlage für die Linken, hier ein Referendum zu ergreifen. Das Stimmvolk hat seit dem Ja zum Krankenversicherungsgesetz jede Reform des Gesundheitswesens in Richtung mehr Wettbewerb oder mehr Staat abgelehnt. Obwohl die Prämien jährlich steigen und viele Leute jammern, wollen sie das System nicht radikal ändern.

Dass das Gesundheitswesen krank ist, ist unbestritten. Wo sollte man ansetzen?

Wenn man den Kostenanstieg bremsen will, muss das über noch bessere alternative Versicherungsmodelle führen. Der Gesetzgeber müsste den Versicherern mehr Gestaltungsfreiheit und damit verbundene Rabatte erlauben. Man könnte beispielsweise in der Grundversicherung einen Teil des Leistungskatalogs als optional definieren, etwa die Alternativmedizin. Wer diese Leistungen ausschliesst, zahlt tiefere Prämien.

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