Addio, TesoroItaliens Familien-Gold fliesst in die Schweiz
In der Krise bringen Italiener ihren Schmuck zu windigen Goldhändlern. Ein Grossteil des Edelmetalls landet in der Schweiz – Gold ist die italienische Exportware mit der höchsten Zuwachsrate.

Traditionell hat Italien eine der höchsten Raten von Goldschmuck in Privatbesitz. Nun wird die Schatulle in Bargeld umgemünzt.
Die Zahl der Goldhändler ist ein verlässlicher Indikator für die Not im Land – und sie ist in Italien zuletzt geradezu explodiert. Laut Medienberichten soll es 28 000 dieser «Cash for Gold»-Händler geben. Klamme Italiener bringen ihren Familienschmuck in die Geschäfte, um Bargeld zu lösen.
Goldankaufsstellen gibt es mittlerweile an den besten Lagen, die bisher für traditionelle Juweliergeschäfte bekannt waren – sogar auf dem Ponte Vecchio in Florenz. Auch die TV-Kanäle werden überschwemmt von einer Branche, die einen Jahresumsatz von sieben Milliarden Euro machen soll. Experten sind der Ansicht, der kaum reglementierte und von der Mehrwertsteuer befreite Markt werde mindestens zur Hälfte von der Mafia kontrolliert.
Exportware mit der höchsten Zuwachsrate
Ist das Familiengold einmal eingeschmolzen und zu Barren geformt, gelangt der Grossteil davon in die Schweiz – legal oder als Schmuggelware. Legal wurden laut Angaben aus Rom im vergangenen Jahr 120 Tonnen italienisches Gold in die Schweiz verkauft, 2010 waren es 73 Tonnen, 2009 nur 64 Tonnen gewesen. Wie viel italienisches Gold illegal in die Schweiz gelangt, ist unbekannt. So oder so: Gold ist die italienische Exportware mit der höchsten Zuwachsrate.
Wie viel Gold aus welchen Ländern in Schweizer Tresoren landet, ist eigentlich ein gut gehütetes Geheimnis. Die Schweiz führt zwar eine Spezialstatistik über den Goldhandel, veröffentlicht jedoch keine Länderaufteilung. «Anfang der Achtzigerjahre hat sich der Bundesrat zum Schutz der Schweizer Banken zu dieser Massnahme entschlossen», sagt Matthias Pfammatter von der Eidgenössischen Oberzolldirektion zu 20 Minuten Online. Im damals turbulenten Goldmarkt wollte man dem konkurrierenden Finanzplatz London, der seinerseits mit Informationen geizte, nicht zu viel preisgeben.
Boomende Branche für kriminelle Organisationen
Im ersten Halbjahr 2012 wurde laut offizieller Statistik Gold im Wert von insgesamt 42,1 Milliarden Franken in die Schweiz eingeführt, was rund 1104 Tonnen entspricht. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum belief sich der Wert auf 42,4 Milliarden Franken oder 1277 Tonnen. «Trotz dieser leichten Abnahme sind Mehrimporte aus Italien möglich, zumal hier die Goldhandelspartner wechseln können», so Pfamatter.
Der Kreis jener, die genau über den «italienischen Goldrausch» Bescheid wissen, ist sehr klein: Lediglich der Oberzolldirektor, der Bundesrat und wichtige Funktionäre im Finanzdepartement und Aussendepartement kennen die Ziffern. «Den Banken liefern wir diese Zahlen nicht», so Pfammatter.
Die vom italienischen Zoll beschlagnahmten Goldmengen stiegen 2011 nach offiziellen Zahlen um 50 Prozent. «Der Goldhandel ist eine boomende Branche für kriminelle Organisationen. Geschmuggeltes Gold überschwemmt die ganze Welt, aber vor allem Länder, in denen es gegen Waffen und Drogen getauscht werden kann», sagt Ranieri Razzante, Leiter der Anti-Geldwäscheorganisation AIRA.
Viel Goldschmuck zuhause
Nach Angaben der italienischen Goldschmiedegilde ANOPO kommt «fast das ganze exportierte Gold von Händlern, die es gegen Geld tauschen». Ivana Ciabatti, Beauftragte für Goldschmiede beim Arbeitgeberverband Confindustria, sagt, Italien sei «eine wahre Goldmine geworden». Es sei unbedingt notwendig, gegen die kriminellen Elemente der Branche zu kämpfen.
Traditionell haben die Italiener viel Gold in Form von Schmuck zuhause. «Familien mit Liquiditätsproblemen können jetzt sehr einfach ihren alten Schmuck verkaufen», sagt die Analystin Alessandra Pilloni vom Londoner Online-Goldhändler Bullion Vault. Der Goldpreis lädt dazu ein: Er ist von rund 300 US-Dollar je Unze (28,34 Gramm) im Jahr 2008 auf 1900 Dollar im Sommer 2011 gestiegen. Derzeit liegt der Preis bei 1660 Dollar je Unze.
Illegale Giessereien in Städten
Laut dem Geldwäschereiexperten Ranieri Razzante werden die «Cash-for-Gold»-Händler zur Hälfte von kriminellen Organisationen kontrolliert.«Sie benutzen Strohmänner, um keine Spuren zu hinterlassen und verfügen über illegale Giessereien in den Hinterhöfen von Städten wie Neapel», erklärt er. Im März betonte Innenministerin Anna Maria Cancellieri, diese Branche habe einen «Schwarzmarkt geschaffen, der eine ständige Überwachung krimineller Kreise nötig macht, die mit Wucher, Hehlerei und Geldwäsche zu tun haben».