Jahrhundert-Bankenreform droht Fehlstart

Aktualisiert

Basel IIIJahrhundert-Bankenreform droht Fehlstart

Ab 1. Januar sollen alle europäischen Banken die verschärften Regeln «Basel III» einhalten, um sich für die nächsten Krisen zu wappnen. Doch aus dem «Big Bang» droht ein Rohrkrepierer zu werden.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Hier wurde über die neuen Regeln für Banken gebrütet.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Hier wurde über die neuen Regeln für Banken gebrütet.

Die Politiker in Brüssel haben lange darum gestritten, wie die grösste Bankenreform aller Zeiten in Gesetze zu giessen ist. Wenn das EU-Parlament das Regelwerk am 22. Oktober verabschiedet - und das ist nicht einmal sicher -, sind erst einmal die IT-Programmierer in den Banken an der Reihe. Das dauert Monate und kostet Milliarden.

Gleiches gilt für Schweizer Banken: Der Nationalrat wird voraussichtlich diese Woche die neue Eigenmittel- und Bankenverordnung absegnen. Dieser sogenannte «Swiss finish» geht noch weiter als der europäische Standard und dürfte ebenfalls Anfang 2013 in Kraft treten. Die Einführung erfolgt dann stufenweise bis 2018.

Nach dem langwierigen politischen Prozess verrinnt den Banken nun die Zeit unter den Fingern: «Nur wer spürbare Vorarbeiten geleistet hat, kann die Implementierung in dem kurzen Compagnie-Zeitraum schaffen», sagt Dirk Auerbach, Bankenexperte der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG. Der Teufel stecke im Detail, Fehler seien programmiert. Sie drohen, das ohnehin erschütterte Vertrauen der Investoren in die Branche weiter zu untergraben.

Zunächst nur Hochrechnungen

Doch noch wird nicht am 1. Januar gerüttelt. «Der politische Druck ist enorm, der Bewegungsspielraum ist gering», sagt Jan Sinclair, Vorstand der Deutschland-Tochter der schwedischen Bank SEB. «Formal wird man beim 1. Januar als Einführungsdatum bleiben, anderes kann man sich politisch kaum leisten», pflichtet Auerbach bei.

Die Zahlen der Institute zu deren Kapitalausstattung sind jedoch in den ersten Monaten 2013 wenig mehr als Hochrechnungen. Darüber macht man sich auch bei den Aufsehern Sorgen: «Das letzte, was wir in diesen Zeiten der Euro-Schuldenkrise brauchen können, ist noch mehr Verwirrung über die Banken», sagt einer von ihnen.

Die Bankenverbände fordern deshalb, den Startschuss zu verschieben. «Der europäische Gesetzgeber und die European Banking Authority haben ihre Zeitpläne aufgrund der Komplexität der neuen Regeln immer weiter nach hinten geschoben - das darf jetzt nicht zu Lasten der Banken gehen», moniert Gerhard Hofmann, Vorstandsmitglied des Verbandes der deutschen Genossenschaftsbanken BVR.

Erst im Sommer wird es ernst

Immerhin: Die britische Bankenaufsicht FSA hat angekündigt, dass sie erst im Juli anfangen wird, die Daten von den Banken einzusammeln. Der Sommer 2013 ist auch für andere Behörden der avisierte Zeitpunkt, zu dem die Institute gefordert sind, wie es in Aufsichtskreisen heisst.

Doch dass die Aufseher am Anfang ein Auge zudrücken, ist für BVR- Vorstand Hofmann keine Lösung: «Die Banken wollen nicht auf ihr Wohlwollen angewiesen sein. Sie wollen ein ordnungsmässiges Verfahren, nicht Improvisation in zentralen Aufsichtsnormen.»

Viel Rechenarbeit steht bevor

Zu Beginn kommt Basel III recht harmlos daher: 3,5 Prozent Aktienkapital und Gewinnrücklagen müssen die Banken im Januar 2013 vorhalten. Doch für die Banken ist es nicht damit getan, die Messlatte für ihre Kernkapitaldecke von zwei Prozent der Bilanzrisiken (RWA) bis 2019 schrittweise auf sieben Prozent hochzulegen - für die ganz grossen Banken auf neun.

Die ganze Berechnungsgrundlage ändert sich, die Risikobewertung jedes Kredits, jeder Anleihe und jedes Derivats kann sich ändern. «Man wird ein halbes bis ein Jahr brauchen, um die neuen Regeln technisch richtig darzustellen», sagt Hofmann voraus. «Bis dahin wird man vieles per Hand rechnen müssen - und das ist nicht trivial.»

Angst vor der CVA

Am meisten Angst haben die Institute vor einem neuen Wortungetüm: die «Credit Value Adjustment Charge» (CVA). Sie könnte den Kapitalbedarf für jene massiv aufblähen, die für ihre Kunden Derivate etwa zur Absicherung von Währungsschwankungen oder steigenden Ölpreisen konstruieren. Je nachdem, wie kreditwürdig der Kunde ist, müssen sie nach Basel III Kapital dafür hinterlegen.

«Sie haben schon eine Vorstellung davon, was sie dafür brauchen, aber nur eine ungefähre», sagt PwC-Direktor Richard Barfield. «Was ihnen fehlt, ist Sicherheit.» Sogar die Aufseher haben vorsichtig angeklopft in Brüssel, ob man nicht die Einführung der CVA um einige Monate verschieben könnte, wurden aber brüsk abgewiesen.

Egal, was die Aufseher machen, die Investoren kennen ohnehin wenig Gnade mit den Banken: «Nach unserer Auffassung müssen die Banken die Basel-III-Kapitalanforderungen nicht exakt im Januar 2013 erfüllen», sagt Portfolio-Manager Torsten Martens von der Münchener- Rück-Kapitalanlage-Tochter MEAG. «Aber der Markt - und wir auch - fordern eine deutlich kürzere Übergangsphase als bis 2019.»

(sda)

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