NotmassnahmeGriechen in Angst wegen Kapitalverkehrskontrollen
Heben alle ihr Geld von der Bank ab, kollabiert das System. Darum geht in Griechenland die Angst vor Kapitalverkehrskontrollen um. Was versteht man darunter?

Bei einem Bankrun könnten Griechenlands Banken die Noten ausgehen. Deshalb ist immer öfter von Kapitalverkehrskontrollen die Rede.
Die Griechen haben Angst um ihr Geld und befürchten, es könnte auf den Banken nicht mehr sicher sein. Allein am vergangenen Freitag sind laut Branchenkennern bis zu 1,5 Milliarden Euro abgehoben worden. Kapitalverkehrskontrollen könnten einen weiteren Run auf die Finanzinstitute verhindern.
Was ist das Ziel von Kapitalverkehrskontrollen?
In erster Linie sollen Kapitalverkehrskontrollen verhindern, dass in grossem Mass Geld aus einem Land abgezogen wird. Denn ein solcher Geldabfluss gefährdet die wirtschaftliche Stabilität. Das könnte etwa dann geschehen, wenn die Griechen aus Angst vor einem Austritt aus dem Euro oder der Zahlungsunfähigkeit des Staates kollektiv ihr Geld von den Banken abheben, wie dies übers vergangene Wochenende offenbar der Fall war. In einem solchen Fall verlieren die Banken massiv Kapital und können im schlimmsten Fall kollabieren.
Wie wird der Kapitalverkehr kontrolliert?
Es gibt verschiedene Formen solcher Kontrollen. Allen ist gemein, dass sie den bisher freien Geldfluss behindern oder einschränken. Der Staat kann zum Beispiel Steuern erheben, wenn ein Bürger oder eine Firma Geld ins Ausland schicken will oder Geld aus dem Ausland einführen will. Die Regierung kann auch festlegen, dass niemand pro Woche mehr als eine bestimmte Summe von seinem Konto abheben darf. Auch Genehmigungspflichten gehören zu den Kapitalverkehrskontrollen. So kann eine Abbuchung nur erfolgen, wenn sie vorher beantragt und genehmigt wurde. All diese Kontrollen schränken Bürger und Firmen in ihren Rechten ein. Andererseits ermöglichen sie es dem Staat, den Banken oder der Finanzaufsicht, die unkontrollierte Kapitalflucht zu verhindern und die Wirtschaft zu stabilisieren.
Welche rechtliche Grundlagen gibt es?
Für die meisten Staaten mit einer freien Marktwirtschaft sind Kapitalverkehrskontrollen seit den 1970er-Jahren ein Tabu. In Europa gelten Kapitalverkehrskontrollen als No-go, weil sie stark in die wirtschaftlichen Freiheitsrechte der Bürger eingreifen. So gehört der freie Kapitalverkehr zu den vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes in der Europäischen Union. Deshalb verbietet der Artikel 63 des EU-Vertrags sie explizit. Allerdings bietet Artikel 66 ein Schlupfloch. Dieses erlaubt es, zeitlich begrenzte Schutzmassnahmen zu ergreifen, wenn Kapitalbewegungen in oder aus dritten Ländern unter aussergewöhnlichen Umständen das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion schwerwiegend stören oder zu stören drohen. Diese Massnahmen müssen allerdings von der EU-Kommission vorgeschlagen werden und bedürfen der Zustimmung der Mitgliedstaaten.
Gab es Kapitalverkehrskontrollen schon einmal?
Bislang hat mit Zypern nur ein Euro-Land Kapitalverkehrskontrollen verhängt. Im März 2013 wurden für mehrere Tage alle Online-Überweisungen gestoppt; die Banken blieben für mehrere Tage geschlossen. Die Bürger konnten an den Geldautomaten höchstens 190 Euro pro Tag von ihren Konten abheben. Im April 2015 hob Zypern alle Einschränkungen auf.
Auch Nicht-EU-Mitglied Island musste 2008 im Zuge der Schuldenkrise kurzzeitig Banken schliessen, um einen noch stärkeren Wertverlust – die Währung verlor bis 70 Prozent ihres Wertes – der isländischen Krone zu verhindern. Die temporär eingeführten Kapitalverkehrskontrollen sind jedoch immer noch in Kraft. Eine subtilere Version der Kapitalverkehrskontrolle hat unlängst Russland implementiert. Die Regierung wies am 1. März 2015 fünf grosse Exporteure an, ihren Devisenbestand zu reduzieren.
Bankkollaps in der Schweiz
Wovor sich die Griechen fürchten, war in der Schweiz 1991 der Fall. Die Spar- und Leihkasse Thun hatte ohne Vorwarnung Anfang Oktober 1991 ihre Filialen geschlossen und alles Geld gesperrt. Die Regionalabnk war verschuldet, hatte zu sorglos Hypotheken vergeben und war von der Immobilienkrise überrascht worden. insgesamt verspekulierte die Bank 223 Millionen Franken ihrer Kundengelder. Die Sparer mussten Monate und Jahre warten, um ihr Geld zu erhalten. Doch rund 6300 Kunden verloren mehr als ein Drittel ihres Vermögens. Per Dekret müssen Banken mittlerweile höhere finanzielle Polster für einen möglichen Konkurs haben. Statt 30'000 Franken wie damals gilt heute eine Einlagensicherung von 100'000 Franken – dieses Geld erhalten Kunden bei einem Konkurs in jedem Fall ausbezahlt, schreibt die «Handelszeitung». (cls)