«Möblierter Roman»Literaturkritiker knöpft sich Ikea-Katalog vor
Das meistgedruckte Buch der Welt ist der Katalog des schwedischen Möbelhauses. Es erhält seine erste Kritik – von einem deutschen Literaturpapst.
Er gilt als einer der einflussreichsten Literaturkritiker des deutschsprachigen Raumes: Hellmuth Karasek. Der Autor und Kritiker der gehobenen Literatur widmet sich für einmal einem Buch mit wenig Text: dem Ikea-Katalog.
1951 verschickte der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad den ersten Katalog an seine Kunden, gedacht als Einladung zu einem Besuch im blau-gelben Einrichtungshaus. Drei Jahre später erschien der Katalog in einer Auflage von 500'000 Exemplaren. Heute liegt sie bei 220 Millionen. Damit sei das blau-gelbe Verzeichnis bekannter als die Bibel.
Der deutsche Kult-Kritiker – er wurde durch die Sendung «Das literarische Kabinett» des verstorbenen Marcel Reich-Ranicki bekannt – hatte dabei keinerlei Vorgaben. Er habe den Katalog «nach seinem Gutdünken und nach den gleichen Massstäben, wie er es bei anderen Werken der Belletristik zu tun pflegt» rezensiert, heisst es in einer Mitteilung von Ikea.
«Möblierter Roman»
So stellt Karasek in seiner Einleitung fest, das Buch, das er bespreche, sei ein «möblierter Roman», der «die kleinen Freuden des Alltags« beschreibe. Es sei «ein Buch, in dem wir uns wohlfühlen sollen». Trotzdem sei es «ein Skandal, dass das Buch mit einer Auflage von 200 Millionen Exemplaren noch nie rezensiert» worden sei. Überhaupt sei das Buch eines, das viel erzählt, aber «vollgemüllt» sei mit Gegenständen.
Verwundert stellt er fest: «Die Personen müssen sich zwischen die Möbel drängen, sie kommen selten zu Wort, sie reden kaum zusammenhängend – und trotzdem hat das Buch einen solchen Erfolg.»
Der knapp fünfminütige Online-Film sei eine skurrile, liebevolle und nicht ganz ernst gemeinte Auseinandersetzung mit dem Ikea-Katalog 2016.
(cls/sda)
Über Hellmuth Karasek
Hellmuth Karasek, geboren 1934 in Brünn (Tschechien), ist ein deutscher Journalist, Buchautor, Kritiker und Professor für Theaterwissenschaft. Karasek leitete über zwanzig Jahre lang das Kulturressort der deutschen Wochenzeitung Der Spiegel. Von 1988 bis 2001 war Karasek fester Bestandteil der ZDF-Sendung Das Literarische Quartett. Darüber hinaus hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht.