InformatikNeuer IT-Skandal – so wird beim Bund getrickst
Nach der Seco-Affäre sieht sich der Bund mit dem nächsten IT-Skandal konfrontiert. Betroffen ist diesmal eine AHV-Stelle. Wie schafften es die Beamten immer wieder, die Regeln zu brechen?

Klüngeleien bei der Informatikbeschaffung des Bundes? Transparency International fordert darum eine zentrale Datenbank, in der alle freihändig vergebenen Aufträge verzeichnet werden.
Wettbewerb und Transparenz sollten dem Steuerzahler tiefe Preise garantieren, wenn der Staat IT-Dienstleistungen einkauft. Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigt eine ganze Reihe von Vergabeskandalen. Der neuste Fall: Die Zentrale Ausgleichskasse (ZAS) in Genf – sie verwaltet die AHV-Gelder – soll systematisch Informatikaufträge widerrechtlich vergeben haben, berichtet der «Tages-Anzeiger». Die eidgenössische Finanzverwaltung hat zwei Administrativuntersuchungen eingeleitet.
Im Januar erst war eine IT-Affäre im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) aufgeflogen. In den Skandal verwickelt sind ehemalige Manager der Informatikfirma Fritz & Macziol sowie ein Seco-Ressortleiter. Eine zweifelhafte Rolle spielte auch das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL). Unrechtmässige Auftragsvergaben gab es auch beim IT-Projekt Insieme der Steuerverwaltung. Das Desaster kostet den Bund 100 Millionen Franken.
Schwellenwert ausgehebelt
Zwar können die staatlichen IT-Einkäufer die Steuerfranken nicht einfach so im Laden um die Ecke ausgeben. Dennoch schaffen sie es immer wieder, die strengen Regeln zu umgehen. So müssten IT-Aufträge von derzeit über 230'000 Franken laut den WTO-Regeln öffentlich ausgeschrieben werden. In der IT-Branche gibt es aber verschiedenste Tricks, um diese auszuhebeln. So stückelt man grosse Aufträge mehrere kleine, hebelt damit Schwellenwerte aus und führt die Controller an der Nase herum.
Genau mit diesem Zerstückelungstrick ist angeblich auch die ZAS vorgegangen. So zeigen dem «Tages-Anzeiger» vorliegende Prüfberichte, dass etliche IT-Leistungen gesetzeswidrig in kleine Aufträge geteilt worden waren, was eine freihändige Auftragsvergabe ermöglichte. Das ZAS hätte Aufträge von über 150'000 Franken über das Bundesamt für Bauten und Logistik abwickeln müssen – die zentrale Beschaffungsstelle des Bundes.
Alibi-Ausschreibungen
Eine weitere übliche Masche, um selbst Millionenaufträge an den Wunschpartner vergeben zu können: «Man schneidert den Auftrag dem befreundeten Lieferanten durch willkürliche Spezifikationen, die nur er erfüllen kann, sozusagen auf den Leib», erzählt ein Mann aus der Branche. Um solche Alibi-Ausschreibungen zu gewinnen, werden teure Berater angeheuert, die sich in der Grauzone bewegen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Denn eigentlich dürfen Spezifikationen nicht derart eng sein, dass nur ein Produkt in Frage kommt.
Verbreitet ist bei Auftragsvergaben auch der Trick, dass neue Projekte gerne als Erweiterungsaufträge deklariert werden. Praktiziert hat genau dies der mittlerweile verhaftete Seco-Ressortleiter. Damit konnte er die Summen seinen Bekannten bei Fritz & Macziol zukommen lassen. Gegen Jahresende sei man jeweils beim Seco-Verantwortlichen vorstellig geworden und habe «Aufträge abgeholt», sagte ein mit der Materie vertrauter Informant kürzlich zu 20 Minuten.
Wieso hat es niemand bemerkt?
Softwareaufträge von unter 50'000 Franken dürfen die Beschaffungsstellen hingegen im sogenannten freihändigen Verfahren vergeben. Die Regeln: Man kontaktiert einen beliebigen Lieferanten und kann daraufhin den Auftrag ohne weiteres einem anderen – sofern günstigeren – Anbieter zukommen lassen. Liegt der Preis hingegen zwischen 50'000 und 230'000 Franken, besteht die Pflicht, mindestens drei Offerten einzuholen und die günstigste zu wählen. Eine Ausschreibung im Amtsblatt gibt es nicht. Naheliegend, dass wer mit dem Auftraggeber befreundet ist, über die Offerten der Konkurrenz Bescheid weiss.
Kontrolle versagt
Laut dem «Tages-Anzeiger» lesen sich die Prüfberichte des internen ZAS-Inspektorats stellenweise wie eine Anleitung zum Umgehen des Gesetzes, wenn keine Kontrolle existiert. Das Inspektorat untersuchte die Beschaffungen bei vier IT-Projekten. Besonders umfangreich sind die Mauscheleien des ZAS angeblich beim 6-Millionen-Projekt Alexsi. Der Bericht zählt 15 Aufträge an verschiedene Firmen auf, die in den Jahren 2011 und 2012 in Eigenregie vergeben wurden. Viele hatten genau das Volumen von 150'000 Franken.
Was sowohl im Seco- als auch im ZAS-Fall erstaunt: Wieso haben die Kontrollorgane nichts gemerkt oder erst spät reagiert? Zumindest im Fall des Seco hat der Bund für IT-Leistungen jahrelang überhöhte Preise bezahlt. Je nach Branche gibt es Richtwerte, was die IT-Leistung pro Jahr und Arbeitsplatz kosten sollte.
Korruptionsexperte fordert öffentliche Datenbank
Aus einer Nähe zwischen Bundesverwaltung und IT-Firma könne eine ungerechtfertigte Begünstigung entstehen, sagte Korruptionsexperte Jean-Pierre Méan von Transparency International Schweiz zu 20 Minuten. Er fordert eine zentrale Datenbank, in der alle freihändig vergebenen Aufträge verzeichnet werden. Damit liesse sich kontrollieren, ob immer wieder dieselben Firmen den Zuschlag erhalten. (sas)