JugendverschuldungSchönheits-OPs als Schuldenfalle für Mädchen
Die Jugendverschuldung in der Schweiz nimmt zu. Junge Frauen verschulden sich mit Schönheits-Operationen, junge Männer beim Einkaufen im Internet.

Viele junge Frauen in der Schweiz können sich den gewünschten Schönheitseingriff nicht leisten und verschulden sich. (Bild: thinkstockphotos)
Thomas Hutter redet von «beängstigenden Zahlen», wenn er über die Jugendverschuldung in der Schweiz spricht. Der Geschäftsführer von Intrum Justitia weiss, wovon er spricht: Die Inkassodienstleistungsfirma bearbeitet aktuell rund 1,5 Millionen Fälle, bei denen der Schuldner bereits eine Rechnung nicht bezahlt sowie zwei Mahnungen erhalten hat.
Am Dienstag präsentierte Hutter zum zweiten Mal den Radar Jugendverschuldung und kommt zum Schluss: Es gibt in der Schweiz einen überproportional hohen Anteil an jungen Schuldnern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Der Bevölkerungsanteil dieser Altersgruppe beträgt 12 Prozent. Die Verschuldungsquote dieser Altersgruppe liegt aber deutlich höher. Im Bereich Gesundheit ist sie bei 15 Prozent, im Bereich Telekom bei 20, beim Internet-Shopping gar bei 26 Prozent (siehe Grafik).
Junge Frauen verschulden sich beim Arzt
Dabei gibt es geschlechterspezifische Unterschiede. Junge Männer geraten vorwiegend über den Konsum im Internet sowie über ihre Mobiltelefone in die Schuldenfalle (60 Prozent). Bei den Frauen sind es hingegen die hohen Arztrechnungen. «Auffallend ist, dass 61 Prozent der jungen Erwachsenen, die offene Arzt- und Laborrechnungen haben, Frauen sind», sagt Wolfgang Schibler, Direktor der Ärztekasse.
Die Gründe dafür: Für junge Frauen fallen bereits früh – beispielsweise bei den gynäkologischen Vorsorge-Untersuchungen – erste regelmässige Gesundheitskosten an. Diese sind oft verbunden mit Laboranalysen und ziehen Folgekosten wie Verhütungsmittel nach sich.
Teure Rechnungen vom Schönheitschirurgen
«Immer öfter geht es aber auch ums Thema Schönheit», weiss Schibler. «Das sind dann die wirklich hohen Rechnungen», ergänzt er. Wie oft Schönheitseingriffe tatsächlich unter den offenen Arztrechnungen sind, kann nicht nachgewiesen werden. Der beliebteste Eingriff bei den 18- bis 25-Jährigen, das Fettabsaugen, kostet aber bereits zwischen 4000 und 8000 Franken.
Gemäss Schibler gehen junge Frauen, die den Wunsch haben, sich «verschönern» zu lassen, von Arzt zu Arzt und lassen sich beraten. Schon vor dem Eingriff stapeln sich so die Rechnungen. Kommt es zu einer Schönheitsoperation, wird diese oft gar nicht von der Krankenkasse übernommen.
Rückerstattung wird verjubelt
Auch wenn die Krankenkasse die Gesundheits-Ausgaben zurückerstattet, sind viele junge Leute der Schuldenfalle nicht entkommen. Schibler: «Die Rückerstattung wird oft für andere Dinge als für die Bezahlung der Arztrechnungen verwendet. Dieses Geld fehlt aber nach wie vor in der Haushaltskasse der jungen Frauen.»
Für Stephan Hägeli, Geschäftsführer des unabhängigen Beratungszentrums für Ästhetische Chirurgie (Acredis), ist Schiblers Befund keine Überraschung: «Diese Problematik stellen wir auch fest», sagt er.
Eigenverantwortung der Patienten
Allerdings könnten die Ärzte nicht in die Pflicht genommen werden, da sie nicht kontrollieren können, ob und wie sich ihre Patienten für eine Operation verschulden. «Ich appelliere daher an die Eigenverantwortung der Patienten. Auch sollten Finanzinstitute, die offenbar vom Beautymarkt profitieren wollen, nicht solche Kredite vergeben», fordert Hägeli.
Mit zunehmendem Alter nimmt übrigens der Unterschied zwischen den Geschlechtern, was die Verschuldung über Gesundheitsausgaben angeht, ab. Bei den über 33-Jährigen Schuldnern sind gemäss dem Radar nur noch 52 Prozent Frauen.
Schulen und Eltern gefordert
«Das Thema Jugendverschuldung wird in der Schweiz vernachlässigt», sagt Stephan Oetiker von Pro Juventute. Die Stiftung fordert, dass Schulen vermehrt unterstützt werden, um die Vermittlung von Finanzkompetenzen zu verstärken. «Gleichzeitig ist es wichtig, dass Eltern, Lehrpersonen, aber auch Wirtschaft und Spender sensibilisiert sind, dass unsere Kinder hier Unterstützung brauchen», sagt Oetiker.