Rückkehr der Tobin-SteuerUnd ewig zockt der Spekulant
Die EU braucht Geld – und stabilere Finanzmärkte. Um Spekulation einzudämmen, wärmt sie die alte Idee der Transaktionssteuer wieder auf. Doch die Zocker dürften einfach weiterziehen.

Die EU-Finanztransaktionssteuer schlägt zwei Fliegen auf eine Klappe: Finanzmärkte stabilisieren und Milliarden einnehmen.
«Es ist Zeit, dass der Finanzsektor der Gesellschaft etwas zurückzahlt», sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso diese Woche in Strassburg und erinnerte daran, dass die EU-Staaten der Finanzindustrie in den letzen drei Jahren mit 4,6 Billionen Euro aus der Patsche geholfen hatten. Um die leeren Kassen zu füllen, sollen die 27 EU-Länder bis 2014 eine Finanztransaktionssteuer einführen, die jährlich 57 Milliarden Euro einbringt. Zudem beabsichtigt die Politik mit der Abgabe der Spekulation zu Leibe zu rücken.
Vor allem Globalisierungskritiker fordern die Steuer seit Jahren, der Finanzindustrie ist sie hingegen ein Dorn im Auge. Spekulanten, die mittels Computerprogrammen in Sekundenschnelle kleinste Kursdifferenzen zwischen einzelnen Währungen oder Rohstoffhandelsplätzen ausnützen, hätten das Nachsehen. Die Abgaben pro Transaktion – wovon im Hochfrequenzhandel tausende getätigt werden – würden die Gewinne eliminieren. Zocken auf kleinste Schwankungen würde uninteressant.
Spekulation in dunklen Kanälen
Die Wirkung einer Finanztransaktionssteuer, die der US-Ökonom James Tobin bereits 1972 vorschlug, aber nie eingeführt wurde, ist umstritten: «Einerseits würde die Spekulation eingedämmt, andererseits dürfte sie aber in dunklere Kanäle abwandern», sagt Felix Brill, Ökonom bei der Beratungsfirma Wellershoff & Partners. Will heissen: Spekulative Tätigkeiten würden einfach auf nicht von der Abgabe erfasste Finanzplätze verschoben; die Tobin-Steuer sozusagen als Geschenk für die USA, Cayman Islands, Singapur oder die Schweiz. Zudem gilt die Finanzindustrie als äusserst innovativ: «Es würden relativ rasch Produkte entwickelt, die nicht unter die gesamteuropäische Regulation fallen», vermutet Brill.
Internationale Umsetzung
Um eine hohe Wirksamkeit der Steuer zu erreichen, müsste sie möglichst weltweit umgesetzt werden. Doch bereits innerhalb Europas dürfte die Vorlage auf grossen Widerstand stossen. Die EU-Schwergewichte Deutschland und Frankreich sind zwar dafür, England hingegen dagegen. Zudem müssten noch 24 weitere EU-Regierungen das Vorhaben absegnen, denn in Steuersachen braucht die EU Einstimmigkeit.
Aus dem britischen Finanzministerium verlautete, dass man nicht grundsätzlich dagegen sei. Bei der Tobin-Steuer mitmachen will London aber nur, wenn sie global eingeführt würde. Die Briten befürchten, dass sie 90 Prozent des Derivatehandels verlieren könnten, zu einem grossen Teil an die USA. Bisher hatten die Vereinigten Staaten eine Transaktionssteuer im Rahmen der G20-Treffen aber immer abgelehnt – und dürften es auch weiterhin tun.
Zeitpunkt verschlafen?
Ökonom Felix Brill glaubt denn auch nicht an eine Umsetzung der Steuer bis 2014. «Es dürfte zum grossen Verhandlungsspiel werden, wobei sich die Chancen auf eine Einigung erhöhen, wenn die aktuelle Krise zum Dauerzustand wird.»
Womöglich hat man in Brüssel das ideale Zeitfenster für die Regulierungen verpasst. 2009 – im Jahr eins nach der Lehmanpleite und dem Fastzusammenbruch des Finanzsystems, als alle nach Regulierungen schrien und die Banken Mässigung versprachen – wären die Chancen auf Einigung wohl höher gewesen.
«Eine Finanztransaktionssteuer wäre aber nicht die Lösung aller Probleme», sagt Experte Brill. Die EU hätte zwar wieder mehr Geld in der Kasse, an die 57 Milliarden jährlich glaubt er aber nicht, da sich viele Transaktionen auf andere Finanzplätze verschieben würden. Zudem ist davon auszugehen, dass die Banken die Steuer auf die Kunden übertragen. Also müssten am Ende nicht nur Spekulanten, sondern auch Pensionskassen – und damit Sparer – bluten.
Die Abgabe im Detail
Die EU-Kommission schlägt vor, dass alle 27 Mitgliedstaaten ab 2014 ein Abgabe auf Finanztransaktionen von mindestens 0,1 Prozent des Aktienpreises und mindestens 0,01 Prozent des Nennwerts von Terminkontrakten erheben. James Tobin hatte 1972 einen Steuersatz für grenzüberschreitende Geldtransfers zwischen 0,1 und 1 Prozent vorgeschlagen.